Wet and Wild

Wie sonst nur im Weltall stehen die Meere in der Comic-Kultur der 1930er Jahre für Kraftzentren, aus denen seltsame Wesen mit ungeheuren Kräften kommen. Die Unterwasserhelden von damals erleben gerade ihre Renaissance

Übrigens ist Mister Spock vom Raumschiff „Enterprise“ keineswegs der erste Held mit spitzen Ohren. Nein, nein. Und wir reden hier nicht von niedlichen Elfen. Es gibt einen Prinzen, der viel früher schon als Mister Spock Teenager faszinierte. Er sitzt auf dem Grund des Meeres auf seinem Thron und will den Menschen mal Böses, mal Gutes. Sein Name ist Namor. Die spitze Ohrenform verdankt er seiner Mutter, Prinzessin Fen aus Atlantis. Namors Kräfte sind gewaltig, und für die längste Zeit seines bisherigen Daseins trug er nicht mehr als eine Badehose am Leib. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil nahezu alle seine Kollegen aus der Superheldenschaft enge Strumpfhosen, alberne bunte Umhänge und Masken tragen. Das Meer steht für Offenheit, für Reinheit, für Purismus. Eine Verkleidung fällt aus. Also genügt die Badehose.

Das Meer, unendliche Weiten. Wie sonst nur der Weltraum stehen die Ozeane in der populären Kultur für Kraftzentren, aus denen seltsame Wesen kommen. Die unerforschten Tiefen sind Projektionsräume. Das Meer verheißt Schrecken und Schönheit, es birgt, weil unter Wasser ungeheure Kräfte wirken, das Potenzial für zahlreiche Superhelden, die sich seit Erfindung des Comic-Hefts im Meer und an Land Kämpfe liefern. Naivität und Stärke: Das macht die Figuren aus.

Was Menschen über die See denken, was sie lieben und wovor sie sich fürchten, steckt auch in Wesen wie Namor, Aquaman, Hydro-Man, in Schurken wie Schwarzer Manta, Angler, Tigerhai und Parodien wie Meerjungfraumann und Blaubarschbube. Bizarre Kreaturen, mythische Größe. Natürlich funktionieren sowohl unter Wasser wie an Land Kraftwörter wie crack!, bwwunkk!, scrutsh!, ga-bumm!, sssnik!.

Als die Comic-Hefte erfunden werden, sind die Meereswelten noch ziemlich unerforscht. Das bietet weiten Raum für Fantasie. Warum sollte es Atlantis nicht geben? Es gibt keinen Beweis! Mitte der 1930er Jahre geht es los mit kurzen komischen Erzählungen. Damals träumen schon zwei Teenager von einem fliegenden Helden, aber erst 1938 erscheint das erste Heft mit Superman. Ein Außerirdischer, der (zunächst) Autos stemmen und über Häuser springen kann. Der Erfolg löst eine Welle an Nachahmern aus, das Golden Age of Comics beginnt. In vielen Studios in New York sitzen ab sofort junge Männer über Zeichentischen gebeugt und entwickeln für wenig Lohn neue Figuren. Superman kommt vom Planeten Krypton, Wonder Woman irgendwie aus grauer Vorzeit. Batman, Flash, Green Lantern und Captain Marvel sind Menschen. Immer neue Helden werden nach 1938 gebraucht.

Bei der Charakterisierung spielen die Elemente eine große Rolle. Erde, Luft, Feuer. Da liegt es nahe, auch Wasser als Kraftquelle zu nutzen. Der Erfinder des ersten Meeressuperhelden heißt Bill Everett, geboren 1917. Bevor er mit 20 Jahren Texter und Zeichner von Comics wird, hat er schon viele Jobs hinter sich. Seine erste Wasserfigur heißt Hydro-Man. Ein junger Mann wird von einer Lösung übergossen, die Fleisch und Blut in Wasser verwandelt. Fortan kann Hydroman aus einer Teekanne, dem Wasserhahn oder Meer emporsteigen und fürs Gute kämpfen. Süßwasser und Salzwasser, Hauptsache Hydro.

Im Sommer 1939 arbeitet Everett für einen Verlag, der später unter dem Namen Marvel berühmt werden sollte, an einer neuen Unterwasserfigur. Zwölf Seiten mit Namor, dem Sub-Mariner, erscheinen im Oktober im Heft „Marvel Comics“ Nummer 1. Namors Vater, Kapitän eines amerikanischen Eisbrechers, wird angeblich bei der Attacke von Atlantern getötet. Sub-Mariner ist anders, rosahäutig statt blau wie die Atlantis-Bewohner. Für den Namen lässt Everett sich von S. T. Coleridges „Ballade vom alten Seemann“ inspirieren, „The Rime of the Ancient Mariner“.

Sub-Mariner ist der erste Antiheld der Comics, ein Feind Amerikas. Im Heft Nummer 7 klettert er in New York an Land und bricht dem Empire State Building die Spitze ab, fast wie King Kong. Und Namor ist grundsätzlich ein wütender, arroganter, junger Mann, dem die Augenbrauen hoch auf der Stirn stehen, ein rebel without a cause.

Bill Everett ist selbst so ein zorniger Mann, der aus Büros fliegt und seinen Zorn im Alkohol ertränkt. Namor, der Aufmüpfige, wird sein Alter Ego – und damit zum Vorbild so vieler Teenagerhelden. Sie fühlen sich unverstanden wie ihre jungen Leser. Namor bewegt sich elegant unter Wasser, er fliegt durchs Meer, ringt mit seltsamen Tauchern, die Gewehre tragen und fantastische U-Boote besitzen. Fische und Meerestiere sind selten zu sehen. Allenfalls kämpft Namor mit einem gewaltigen Hai. Viel häufiger sind Auseinandersetzungen mit Human Torch, der menschlichen Fackel. Feuer und Wasser – aber beide sind sie Hitzköpfe.


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mare No. 92

No. 92Juni / Juli 2012

Von Holger Kreitling

Seit den frühen Jungenjahren liest Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Comics. Die Eltern waren davon wenig begeistert. Als Redakteur der Welt freut er sich immer noch über Tiefsinn im Trivialen. Er liebt es außerdem, mit seinen Kindern SpongeBob zu sehen, und wünscht sich, er könnte wenigstens einmal in die Unterwasserstadt Bikini Bottom.

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Vita Seit den frühen Jungenjahren liest Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Comics. Die Eltern waren davon wenig begeistert. Als Redakteur der Welt freut er sich immer noch über Tiefsinn im Trivialen. Er liebt es außerdem, mit seinen Kindern SpongeBob zu sehen, und wünscht sich, er könnte wenigstens einmal in die Unterwasserstadt Bikini Bottom.
Person Von Holger Kreitling
Vita Seit den frühen Jungenjahren liest Holger Kreitling, Jahrgang 1964, Comics. Die Eltern waren davon wenig begeistert. Als Redakteur der Welt freut er sich immer noch über Tiefsinn im Trivialen. Er liebt es außerdem, mit seinen Kindern SpongeBob zu sehen, und wünscht sich, er könnte wenigstens einmal in die Unterwasserstadt Bikini Bottom.
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