Tod im Mittelmeer

Mattanza, blutigste und archaischste Form des Thunfischfangs

Am Ende ist es ein wilder Kampf. Wenn die Fischer das große Netz langsam aus der Tiefe emporziehen, rauschen die mächtigen Thunfische wie dunkle Schatten durch das Wasser. Spitze Rückenflossen blitzen in der Sonne. Starke Schwänze schlagen das Wasser zu Schaum. Die Fischer halten dagegen. Die Arme gespannt, mit schwellendem Bizeps, ziehen sie das Netz aus dem Wasser, im Takt, Masche für Masche. Bis die Fische so nah sind, dass man sie packen kann. Die Fischer schlagen den Tieren die Gaffs, mit dicken Haken bewehrte Stöcke, in die Kiemen. Sie zerren die zappelnden Leiber in ihre Boote, zu Dutzenden. Das Blut fließt in Strömen und färbt das aufgewühlte, schäumende Wasser tiefrot.

Manche halten die große Thunfischjagd, zu der die Fischer auf Sardinien und Sizilien in jedem Frühjahr aufbrechen, für ein Gemetzel. Für andere ist sie eine jahrhundertealte, faszinierende Tradition. Im April ziehen die großen Schwärme des Tonno rosso, des Blauflossenthuns, aus dem Atlantik ins Mittelmeer. Mit kurzen, starken Flossenschlägen rasen die Tiere durchs Meer, bis sie ihre Laichgebiete vor Spanien, Frankeich und Italien erreichen. Im Westen Siziliens und an der Südspitze Sardiniens kommen die Fische dem Land besonders nah. Im Schutz kleiner Inseln laichen sie ab. Die Weibchen pressen Millionen von Eiern aus ihren Bäuchen, die vom Sperma der Männchen im Wasser befruchtet werden. Doch einigen wird der Zug entlang der Küste zum Verhängnis. Sie verirren sich in einem Gewirr von Netzkäfigen, das die Fischer alljährlich zur Zugzeit des Tonno rosso im Meer aufspannen – vor den kleinen sardischen Häfen Portoscuso und Porto Paglia oder auch an der Küste Siziliens.

„Tonnara“ nennen die Italiener diese Form des Thunfischfangs. Tatsächlich ist die Art, wie die Fischer ihre Netze zum Labyrinth aufspannen, eine Kunst. Aus der Luft betrachtet, gleicht das Gewirr der Netzkäfige einem fein geknüpften Makrameegewirk aus Bögen, Strahlen, Kreisen. Mit kleinen Booten ziehen die Fischer das Netzwerk in Form. Hunderte von Ankersteinen halten es auf Position und am Boden.

Die Logik des Musters erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Die Netze bilden eine Einbahnstraße aus einzelnen Netzkammern. Manche hängen direkt hintereinander, dann wieder geht es um die Ecke, damit die Fische, die in die Kammern hineinschwimmen, nicht mehr hinausfinden. Das große Gewirr der Käfige liegt einige Kilometer vor der Küste. Es ist über ein langes Netz, die Coda, italienisch für „Schwanz“, mit dem Ufer verbunden. Die Coda schneidet den Thunfischen den Weg ab, wenn sie nahe an der Küste vorbeischwimmen. Wie Rehe am Wildzaun bewegen sich die Fische an der Coda entlang bis zu den Netzkäfigen. Manche drehen ab. Doch viele schwimmen hinein und immer tiefer in das Gewirr der Kammern, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Die Netzkäfige hängen mehrere Tage im Meer und füllen sich nach und nach mit Fischen. Am Tag vor der Tötung schließen die Fischer die Kammern; eine nach der anderen, um die Fische, vor allem die großen, immer weiter in das Labyrinth hineinzutreiben. Bis zur letzten und größten Kammer, der Camera della morte, der „Todeskammer“, die am nächsten Tag zum Schauplatz des letzten Aktes wird. Mattanza, „Abschlachten“, heißt dieser blutige Höhepunkt der Tonnara.

Am Tag der Mattanza fahren die Fischer, die Tonnari, früh hinaus. Mit ihren Booten gehen sie an den vier Seiten der Camera della morte in Stellung. Am Boden der Todeskammer liegt ein Netz, das an den Seiten bis an die Wasseroberfläche hinaufreicht und von den Fischern jetzt langsam und rhythmisch hochgezogen wird. Gut 50 Männer zerren am Netz, während ihr Vorarbeiter, der Rais, in einem Boot stehend, mit lautem Rufen den Takt vorgibt. So holen die Männer die mehrere hundert Kilogramm schweren Fische an die Wasseroberfläche, bis sie endlich mit ihren Gaffs zuschlagen können.

Früher war die Mattanza eine einsame Jagd auf dem Meer. Doch seit den 1970er-Jahren hat sie sich mehr und mehr zur Attraktion für Touristen entwickelt. So säumen heute während des Abschlachtens zahllose Boote und Zuschauer die Camera della morte wie eine Stierkampfarena.
Die Autorin Theresa Maggio hat die italienischen Fischer häufig auf ihren Mattanzas begleitet. Sie sind eine verschworene Gemeinschaft Eingeweihter, die mit Fremden kaum über ihre Arbeit sprechen. Maggio gewann ihr Vertrauen und erfuhr, wie die Fischer selbst ihre Arbeit sehen, die manche als archaisch und grausam betrachten. Einer der Fischer bringt es auf den Punkt: Wirklich barbarisch sei es, ein Kalb aufzuziehen, es zu füttern und zu mästen, ihm vorzumachen, man sei sein Freund, und es dann eines Tages zu schlachten. „Der Thunfisch kommt zu mir, und ich nehme ihn mir“, sagt der Fischer in Maggios Buch „Mattanza“. „Aber ich habe ihn vorher nicht gekannt. Das Tier an Land brüllt, der Thunfisch nicht.“

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mare No. 140

mare No. 140Juni / Juli 2020

Von Tim Schröder und Francesco Zizola

Der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, hat schon selbst Fische geschlachtet. Allerdings nach einem ungleichen Kampf: Angel gegen Hering.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine eindrucksvollen Reportagen. An der Mattanza-Geschichte arbeitete er mehrere Jahre. Zizola ist Gründungsmitglied der Agentur Noor.

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Vita Der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, hat schon selbst Fische geschlachtet. Allerdings nach einem ungleichen Kampf: Angel gegen Hering.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine eindrucksvollen Reportagen. An der Mattanza-Geschichte arbeitete er mehrere Jahre. Zizola ist Gründungsmitglied der Agentur Noor.
Person Von Tim Schröder und Francesco Zizola
Vita Der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, hat schon selbst Fische geschlachtet. Allerdings nach einem ungleichen Kampf: Angel gegen Hering.

Francesco Zizola, geboren 1962, Fotograf in Rom, ist bekannt für seine eindrucksvollen Reportagen. An der Mattanza-Geschichte arbeitete er mehrere Jahre. Zizola ist Gründungsmitglied der Agentur Noor.
Person Von Tim Schröder und Francesco Zizola