Terror zur See I: Bombenstimmung auf See

Rebellengruppen in der ganzen Welt rüsten zu einer neuen Eskalationsstufe. Mit Attacken auf die Handelsschifffahrt wollen sie die Schlagadern der globalen Wirtschaft treffen

O Gott, die steuern das Schiff besser als ich!“, schießt es Surahmat Johar durch den Kopf, denn die Bewaffneten auf seiner Brücke wissen offenbar genau, was sie tun. Der Mann am Steuer führt das 3900-Tonnen-Schiff mit fester Hand und stetem Blick auf das Radar. So erinnert sich Johar im Interview mit dem „Time“-Magazin an diese Nacht im März 2003, als Piraten sein Schiff, den Chemietanker „Dewi Madrim“, für Stunden in ihrer Gewalt hatten. Piraten? Oder vielleicht doch Terroristen? Denn die zwölf Männer, die den Tanker um drei Uhr morgens geentert haben, nehmen kaum Beute. Sie fesseln die Besatzung, sammeln Pässe, Seekarten und Schiffspapiere ein und navigieren die „Dewi Madrim“ bei wechselnden Geschwindigkeiten, ehe sie mit ihren Schnellbooten wieder verschwinden. Wollten sie nur trainieren? War es ein Testlauf für einen Terroranschlag mit einer schwimmenden Bombe?

Es wäre ein überzeugendes Beispiel für die Gefahr, die dem Welthandel durch maritimen Terrorismus droht. Schließlich geschah der Zwischenfall in der Straße von Malakka, einer der wichtigsten Meerengen der Welt. Ein Anschlag an dieser Stelle, das Blockieren des Wasserwegs durch ein, zwei havarierte Schiffe oder der Anschlag zum Beispiel mit einem Flüssiggastanker auf einen Hafen wie Singapur hätte katastrophale Folgen. Geschätzte 50.000 Schiffe pro Jahr, ein Viertel des Welthandels, täglich rund zehn Millionen Barrel Rohöl nehmen ihren Weg durch die Straße von Malakka. Wäre dieser mehr als 800 Kilometer lange, an seiner engsten Stelle nur etwas mehr als zwei Kilometer breite Flaschenhals unterbrochen, würde es teuer werden – für die Eigner und Handelsunternehmen, denn die Frachtschiffe müssten einen Umweg von mehr als 1500 Kilometern in Kauf nehmen, für die energiehungrigen Volkswirtschaften von China und Japan, die auf den täglichen Ölnachschub angewiesen sind, und für die Konsumenten, denn Waren würden wegen der längeren Transportwege erheblich teurer.

Aber wie real ist die Gefahr wirklich? Wollen Terroristen tatsächlich auf dem Meer angreifen – und haben sie auch die Mittel dazu? Lohnt sich für sie der Aufwand? Immerhin scheint es einfacher, mit ein paar Pfund Sprengstoff an Land Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Ziele sind unmittelbarer, die Opfer vertrauter. Wer bangt schon um ein Schiff auf hoher See, das mit einer ethnisch bunt zusammengewürfelten Besatzung unter exotischer Flagge fährt? Der Eindruck täuscht. Attacken auf Kreuzfahrtschiffe haben hohen taktischen Wert für die Terroristen, weil sie damit Panik verbreiten würden, und ihr strategisches Ziel – die Lähmung der westlichen Wohlstandsgesellschaft – könnten sie mit Anschlägen auf Schiffe, Bohrinseln und Häfen vorantreiben.

Dass Terroristen auch auf dem Meer aktiv sind, ist nicht neu, obwohl sie sich meist auf das Schmuggeln von Waffen, Sprengstoff und Kämpfern beschränkten. Die Zahl der Attacken war vor der Jahrtausendwende überschaubar; am spektakulärsten noch der Überfall eines palästinensischen Kommandos auf das italienische Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“ 1985. Vier Terroristen hielten mehr als 1000 Menschen in ihrer Gewalt und töteten einen amerikanischen Touristen. Auch der Bombenanschlag auf die Yacht des britischen Lords Louis Mountbatten 1979 blieb in Erinnerung. Der Mord an dem Großonkel von Prinz Charles ging auf das Konto der Irisch-Republikanischen Armee (IRA).

Mit dem Jahr 2000 begann eine neue Phase des maritimen Terrorismus. Am 12. Oktober dieses Jahres um 11.18 Uhr hielt ein sprengstoffbeladenes Schlauchboot auf den amerikanischen Zerstörer „USS Cole“ zu, der im Hafen von Aden vor Anker lag. Die Explosion, die zwei Selbstmordattentäter auslösten, riss ein riesiges Loch in die Backbordwand des Kriegsschiffes und tötete 17 Soldaten, Dutzende wurden verletzt. Es war der erste erfolgreiche maritime Angriff des Terrornetzwerks Al-Qaida, nachdem eine ähnliche Attacke im Januar desselben Jahres fehlgeschlagen war. Strategisch war der Anschlag auf die „USS Cole“ von geringer Bedeutung, doch er hatte hohe Symbolkraft: Es war den Terroristen gelungen, ein Zeichen amerikanischer Macht an einem beliebigen Punkt auf der Welt zu treffen.

Drahtzieher hinter der Attacke war der saudische Terrorist Abd al-Rahim al-Nashiri, der im Auftrag Osama bin Ladens einen Masterplan für den Seeterror der Al-Qaida entworfen hatte. Die vier darin genannten Angriffsmethoden bilden bis heute den Kern der geplanten und noch möglichen marinen Operationen der Al-Qaida und ihrer verbündeten Gruppen, während al-Nashiri selbst längst in Haft ist – im amerikanischen Gefangenenlager Guantánamo.

Der Mann, der heute in Islamistenkreisen ehrfurchtsvoll „Prinz der Meere“ genannt wird, hatte als erste Methode den Angriff mit sprengstoffbeladenen Kleinbooten empfohlen. Genau so lief auch am 6. Oktober 2002 der Anschlag auf den französischen Öltanker „Limburg“ vor Jemens Küste ab. Ein Seemann starb, rund 90000 Barrel Öl, knapp ein Viertel der Ladung, liefen ins Meer. Der Masterplan für den Seeterrorismus macht weitere Vorschläge: der Einsatz kleiner Flugzeuge, die sich, mit Sprengstoff beladen, auf Schiffskommandobrücken stürzen sollen, der Angriff mithilfe von Tauchern, die Sprengladungen anbringen, und schließlich das Kapern großer Schiffe, um sie wiederum als Waffe gegen andere Schiffe einzusetzen.


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Von Elmar Theveßen

Elmar Theveßen, Jahrgang 1967, Terrorismusexperte und seit Juni stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Hauptredaktion Aktuelles des ZDF, ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Sicherheit.

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Vita Elmar Theveßen, Jahrgang 1967, Terrorismusexperte und seit Juni stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Hauptredaktion Aktuelles des ZDF, ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Sicherheit.
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