Steine der Weisen

Ein Fluch unserer Zeit: Wie viel CO2 können die Weltmeere aufnehmen, ohne dabei immer stärker zu versauern? Eine Möglichkeit wäre, gigantische Mengen an pulverisiertem Gestein in den Ozeanen zu versenken. Aber die Chancen und Gefahren sind unüberschaubar

Nach kurzer Fahrt vom Bootsanleger der meeresbiologischen Station auf den Raune­fjord hinaus macht die „Wassermann“ am Mesokosmos Nummer eins fest. Zwischen den signalorange lackierten Auftriebskörpern hängt ein rund 40 000 Liter fassen­der Plastiksack, gefüllt mit Meerwasser. Ein abgeschlossenes Ökosystem, das jetzt, kurz nach der Frühjahrsblüte, grünlich schimmert. Mehrfach lassen die Forscher in dem 20 Meter langen Sack einen Wasserschöpfer hinab. Die Proben füllen sie in Kanister und Flaschen, um sie später im Labor zu analysieren. Dann binden sie das Boot wieder los und steuern den nächsten Mesokosmos an.

Zehn der schwimmenden XXL-­Reagenzgläser hat das Forschungsschiff „Alkor“ vom Kieler Geomar-Institut einen Monat zuvor nahe Bergen ausgesetzt und am Meeresgrund verankert. Anschließend wurden in die Versuchsbehälter unterschiedliche Mengen alkalischer Minerale gegeben – in einige Kalk, in andere Silikat. Seither verfolgen rund 40 Wissenschaftler, Techniker und Studenten akribisch, wie sich die Wasserchemie und die Planktongemeinschaft darin verändern. Das Experiment soll zeigen, ob sich die Aufnahme von Kohlendioxid (CO2) durch den Ozean im Kampf gegen den Klimawandel erhöhen lässt: mit pulverisiertem Gestein, das den Säuregrad des Meerwassers verringert, es alkalisiert. Zugleich will das Team klären, wie sich eine Alkalisierung auf das marine Ökosystem auswirkt.

Der Großversuch vor der Küste Norwegens ist Teil eines EU-Projekts zur Frage, wie der Mensch den Ozean nutzen kann, um die globale Erwärmung einzudämmen. Ulf Riebesell, Meeresbiologe am Geomar und Leiter der Studie, glaubt: indem man die Verwitterung von Gestein ankurbelt. „Bei diesem natürlichen Prozess wird der Atmosphäre CO2 entzogen und viele Jahrtausende im Ozean gespeichert. Nur geschieht das sehr langsam“, erklärt er. Durch Alkalisierung der Meere mit Gesteinsmehl oder alkalischen Salzen aus der Industrie könne man der Natur unter die Arme greifen. „Als positiver Nebeneffekt würde auch die Ozeanversauerung bekämpft, die Korallen und andere Organismen bedroht.“

400 bis 1000 Milliarden Tonnen CO2 darf die Menschheit laut letztem Weltklimabericht noch maximal ausstoßen, um die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad Celsius zu begrenzen. Bereits im Jahr 2030 könnte dieses „Budget“ aufgezehrt sein. Daher müssen nicht nur die globalen Treibhausgasemissionen drastisch sinken. Alle Klimaszenarien mit maximal zwei Grad Erwärmung erfordern zugleich, riesige Mengen CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen: durch biologische, chemische und technische Maßnahmen, die Forscher als Carbon Dioxide Removal (CDR) bezeichnen. Dazu gehören die Renaturierung von Ökosystemen, Biomasseplantagen zur Stromerzeugung oder Anlagen, die das Gas aus der Luft filtern und in tiefe Gesteinsschichten pressen. 

Viele CDR-Maßnahmen sind allerdings kaum erprobt und bergen erhebliche Risiken. Landbasierte Maßnahmen beanspruchen teils riesige Flächen, können Wasserknappheit verschärfen und bedrohen Nachhaltigkeitsziele wie den Schutz der Artenvielfalt und die sichere Ernährung der Weltbevölkerung.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Bäume pflanzen allein nicht genügen wird, um CO2 dauerhaft im nötigen Maßstab zu binden. Auch technische, energiehungrige Verfahren zum Einfangen des Gases sind lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf Island etwa, wo es dank leicht zugänglicher Geothermie reichlich erneuerbare Energie gibt, wird derzeit die weltgrößte Direct-Air-Capture-Anlage gebaut: „Mammoth“, ein gigantischer CO2-Filter. Doch selbst 10 000 dieser Anlagen würden kaum ein Prozent der globalen Emissionen wettmachen.

Für Meeresbiologe Riebesell liegt die Lösung daher nicht an Land, sondern in den Weiten der Meere. Er setzt auf eben jenes Verfahren, das – zumindest auf dem Papier – großes Potenzial verspricht: Ozean­alkalisierung. „Damit ließen sich theoretisch Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen und dauerhaft im Meer speichern“, sagt er. Gleichwohl wäre der Aufwand enorm. „Für jede Tonne CO2, die der Ozean zusätzlich schlucken sollte, wären ein bis drei Tonnen Gestein nötig“, so Riebesell. Es müsste abgebaut, gemahlen und mit Schiffen verteilt oder in Reaktoren an Land im Meerwasser gelöst werden. An Gestein mangelt es auf der Erde nicht, aber es müssten ganze Berge pulverisiert werden. Auch Minenabraum oder Abfälle der Rohstoffindustrie sind denkbare Quellen für alkalische Minerale. 


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 165. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Tim Kalvelage

Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, reiste bereits 2018 nach Gran Canaria, um über ein Experiment in Meso­kosmen zu berichten. Doch die Versuchsbehälter wurden damals durch schwere See beschädigt. Jetzt aber gelangen die Probennahmen ohne Probleme.

Mehr Informationen
Vita Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, reiste bereits 2018 nach Gran Canaria, um über ein Experiment in Meso­kosmen zu berichten. Doch die Versuchsbehälter wurden damals durch schwere See beschädigt. Jetzt aber gelangen die Probennahmen ohne Probleme.
Person Von Tim Kalvelage
Vita Tim Kalvelage, Jahrgang 1984, Wissenschaftsjournalist und Fotograf in Bremen, reiste bereits 2018 nach Gran Canaria, um über ein Experiment in Meso­kosmen zu berichten. Doch die Versuchsbehälter wurden damals durch schwere See beschädigt. Jetzt aber gelangen die Probennahmen ohne Probleme.
Person Von Tim Kalvelage