Stein des Todes, Stein der Liebe

So edel, weich und formbar – nur leider wasserlöslich: Alabaster

Neulich stand ich im Wohnzimmer und ertappte mich dabei, wie ich an einem Windlicht aus Alabaster leckte. Ein bisschen komisch kam ich mir schon vor, als meine Zunge das Souvenir aus Volterra berührte, aber die Neugier hatte gesiegt. „Im Mineralbestimmungskurs macht man immer einen Lecktest, um Salzgestein zu identifizieren“, hatte mir ein befreundeter Student der Geoökologie erzählt. Und Alabaster ist nun einmal ein Salzgestein, genauer gesagt: eine kristalline Ausbildung von Gips.

Die Verwandtschaft zu dem staubigen Pulver, das man im Baumarkt in Zentnersäcken kauft, sieht man ihm allerdings nicht an. Alabaster ist zerbrechlich, samtig und durchscheinend. Die Skala seiner Farben reicht von warmen Grau- und Gelbtönen bis hin zu reinstem Schneeweiß, manchmal von feinen, rötlich-braunen Äderchen durchzogen. Er ist deutlich weicher und fühlt sich wärmer an als sein etwas steifer adeliger Stiefbruder, der Marmor. Kein Wunder, dass er immer wieder als Vergleich für makellose, meist weibliche Haut herhalten muss. In der Literatur wimmelt es nur so von alabasternen Stirnen, Hälsen, Brüsten und Händen. Was wiederum daran liegen dürfte, dass in der Kunst vergängliche menschliche Schönheit immer gerne in Alabaster nachgebildet wurde.

Schon im alten Ägypten wurde der Stein einer weiblichen Gottheit zugeordnet. Die katzenköpfige Göttin Bastet soll Schminkgefäße aus Alabaster besessen und damit vielleicht dem Material seinen Namen gegeben haben: „ana-bastet“, Stein der Bastet. Solche Fläschchen wurden in einer ägyptischen Stadt gefertigt, die die Griechen Alabastron nannten. Allerdings hieß auch das henkellose Salbgefäß selbst bei den Griechen „alabastron“, so dass nicht klar ist, was zuerst da war, der Name für das Material, die Stadt oder das Gefäß.

Klar ist nur, dass es sich eigentlich gar nicht um Alabaster handelte. Jedenfalls nicht um den Alabaster, an den ich meine Zunge gehalten habe. Denn was in der Antike unter dieser Bezeichnung lief, war meist nicht das gleichnamige Salzgestein, sondern eine Art Kalksinter, der heute Kalzitalabaster, orientalischer Alabaster oder Onyxmarmor genannt wird. Optisch ähnelt er dem Gipsalabaster, ist aber viel härter. Kalzitalabaster entsteht als Ablagerung in Kalksteinhöhlen oder wenn hartes Wasser aus dem Untergrund zutage tritt, wie bei den Sinterterrassen von Pamukkale in der Türkei. Dagegen ist Gipsalabaster in prähistorischer Zeit bei der Verdunstung von salzigem Meerwasser entstanden. Übrig blieben Lagerstätten von Gips und, wo das auskristallisierte Kalziumsulfat besonders dicht und homogen war, darin eingebettete, manchmal zentnerschwere Alabaster- „Eier“, die in Tiefen von bis zu 300 Metern unter der Erde liegen.

Wie alle Salze ist Gipsalabaster wasserlöslich, obendrein aber auch hitzeempfindlich und ziemlich weich. Für die Kunst hat das Vor- und Nachteile: Einerseits ist er leicht zu bearbeiten und kann aus freier Hand wie Holz geschnitzt werden. Andererseits eignet er sich nicht für Außenskulpturen oder Architekturornamente, weil er weder Regen noch starker Sonneinstrahlung auf Dauer standhält. Deshalb, und weil er in kleinen Brocken gebrochen wird, verwendete man „echten“ Alabaster von jeher vor allem für Kleinplastik.

Obwohl Kalzitalabaster viel weiter verbreitet war, kannte man auch im Altertum bereits Gipsalabaster. Ägypter und Sumerer fertigten vor allem kleine Skulpturen aus dem Salzgestein, Römer und Griechen machten Leuchter daraus, und die Assyrer benutzten es für Flachreliefs, mit denen sie unter anderem die königlichen Paläste in Ninive und Nimrud dekorierten. Als Luxusversion einer Tapete diente der weiche Stein auch auf Kreta, wo man ihn mit Bronzesägen in hauchdünne, bis zu zwei Quadratmeter große Tafeln schnitt und damit Wände verkleidete.

Die Ersten, die Alabaster in großem Stil verarbeiteten, waren jedoch die Etrusker. Das lag nahe, denn in ihrem Siedlungsgebiet nahe dem heutigen Volterra gab es große Vorkommen des Steins in besonders reiner, weißer Form, die in prähistorischer Zeit beim Austrocknen eines Sees entstanden waren und die, wie jeder Toskana-Tourist weiß, noch heute die Grundlage eines schwunghaften Souvenirhandels bilden. Ohne es zu ahnen, verpassten die Etrusker dem Alabaster ein Image, das er jahrtausendelang nicht mehr loswerden sollte: Sie verwendeten ihn für ihre reliefgeschmückten Graburnen, auf deren Deckeln eigentümlich melonenköpfige Doppelgänger der Verstorbenen liegen, und machten ihn so zum Totenstein.


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mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Von Anneke Bokern

Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Kunst- und Architekturjournalistin in Amsterdam. Nach einer Toskana-Reise, auf der ihr Alabaster in all seinen Erscheinungsformen von Kunst bis Kitsch begegnete, vertiefte sie sich in die Geschichte des Steins.

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Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Kunst- und Architekturjournalistin in Amsterdam. Nach einer Toskana-Reise, auf der ihr Alabaster in all seinen Erscheinungsformen von Kunst bis Kitsch begegnete, vertiefte sie sich in die Geschichte des Steins.
Person Von Anneke Bokern
Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, ist Kunsthistorikerin und lebt als freie Kunst- und Architekturjournalistin in Amsterdam. Nach einer Toskana-Reise, auf der ihr Alabaster in all seinen Erscheinungsformen von Kunst bis Kitsch begegnete, vertiefte sie sich in die Geschichte des Steins.
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