Schöne Alte Welt

Der Fisherman’s Wharf in San Francisco wurde einst von italienischen Fischern gegründet. Noch heute sind ihre Nachfahren die Herrscher der Touristenikone. Aber der Glanz lässt nach

Dass da draußen ein ganzer Ozean ist, ein pazifischer, der seine Wassermassen in die Bucht drückt, einen kräftigen Wind durch die berühmten Straßen schickt und dichte Nebeldecken über die Häuser breiten kann, ein Ozean, der diesem Ort sein Leben geschenkt hat und seinen Namen begründet, das war vielleicht schon 1968, als man das legendäre Wahrzeichen an der Ecke Jefferson und Taylor Street errichtet hat, nicht mehr Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Ein riesiges Steuerrad an von Tauen umwickelten Masten schwebt knappe zehn Meter über den Menschen, in seinem Zentrum leuchtet rot eine Krabbe, umrahmt von einem Schriftzug: Fisherman’s Wharf of San Francisco. Kaum jemand, der hier vorbeikommt, lässt das Fotomotiv aus. In den touristischen Hitlisten rangieren das Crab Wheel und seine Umgebung ganz oben mit der Golden-Gate-Brücke und Alcatraz. 

Hinter dem Zeichen öffnet sich ein Platz, der teils ein Parkplatz ist, und selbst das alte Schild, auf dem steht, welche Restaurants ihren Gästen die Gebühren verrechnen, hat chromgerändert mehr Charme als vieles, was hier sonst noch zu sehen ist. An der Jefferson Street reihen sich Souvenirläden und Fast-Food-Hallen, es gibt ein riesiges Süßwarenkaufhaus, ein Mobilfunkgeschäft und, wie an allen verloren gegebenen Orten, „Madame Tussauds“ Wachsfigurenkabinett. Die meisten Restaurants, die auf dem Schild gelistet sind, gibt es nicht mehr. „Alioto’s“, „Guardino’s“, „Tarantino“, „Castagnola’s“, klangvolle Namen, in denen die Vergangenheit mitschwingt und mit ihr das Versprechen, das Amerika einst in die armen Landstriche Italiens schickte: ein besseres Leben zu finden jenseits des Atlantiks, vielleicht sogar Wohlstand und Glück. 

Tom La Torre hat 1976 angefangen, im Lokal seines Vaters zu arbeiten, in den Schulferien, als Sommerjob, da war er 16. Tag für Tag stand er unter der blauen Markise von „Sabella & La Torre“, auf der bis heute stolz das Gründungsjahr des Unternehmens prangt: 1927. Er war gewissermaßen im Außendienst tätig, hat die Menschen, die in Mengen vorbeiströmten, zu den Auslagen gelockt, wo sich die Delikatessen stapelten, hat ihnen Speisekarten in die Hand gedrückt, die zuversichtlich auf ihrer Frontseite verkündeten: „If it swims we have it!“ Ein Comicfisch im Smoking ist bis heute das Logo des Restaurants; er ist in den Falz der Karte gedruckt, in seinem Maul war früher ein Stück ausgestanzt. Öffneten die Gäste die Speisekarte, schnappte der Fisch zu. „Die Kinder haben das geliebt“, sagt La Torre. Aber der Schnitt ist zu kostspielig geworden, es sind unsichere Zeiten, man muss sparen, wo man kann. Das Restaurant, das er mit seiner Cousine Gina Sabella La Rocca führt, ist hier das letzte seiner Art, ein Familienbetrieb mit italienischen Wurzeln in vierter Generation. Den Laden neben „Sabella & 

La Torre“ haben Koreaner übernommen, „Alioto’s“, das Flaggschiff am Platz, hat nach der Pandemie nie mehr aufgemacht. Und bei „Castagnola’s“ um die Ecke, das ebenfalls verriegelt ist, klebt ein Schild der Hafenbehörde an der Tür, das Übernachtungen im Leer­stand untersagt. Was die Obdachlosen, die dort campieren, wenig beeindruckt.

La Torre ist ein drahtiger Mann von 62 Jahren, seine dunklen Augen verströmen eine leise Melancholie, vor allem dann, wenn er von besseren Tagen erzählt. Damals, als das Tempo des guten Lebens den Takt vorgab am Fisherman’s Wharf und alle Besucher dasselbe wollten: frischen Fisch zu essen, wo er gefangen wurde. Beim ersten Date oder zur Feier eines schönen Sommertags, als Familienvergnügen oder zur bier­getränk­ten Mittagspause der Hafenarbeiter. Und immer mal wieder fuhr irgend­eine prominente Person in einem polierten Straßenkreuzer vor. Tom La Torre musste schnell sein und schlagfertig, lernte, Stammgäste von Unentschlossenen zu unterscheiden, und ganz nebenbei, mit Menschen umzugehen. „Ich war eigentlich ein stiller, verschlossener Junge. Aber hier musste ich aus meinem Schneckenhaus.“ Die ganze Taylor Street entlang reihte sich ein Fischrestaurant an das nächste, alle geführt von italienischen Einwandererfamilien, man kannte sich, war kreuz und quer verbandelt und stachelte sich in freundlicher Konkurrenz gegenseitig an. Fisherman’s Wharf, das hört man aus Tom La Torres Erzählungen, war für sie mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es war fast ein Zuhause.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 165. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Martina Wimmer und Laura Morton

mare-Redakteurin Martina Wimmer konnte gleich bei ihrer Ankunft in der Stadt die schöne neue Welt bestaunen. Ihr Taxi wurde von einem fahrerlosen, von KI gesteuerten Auto überholt.

Fotografin Laura Morton lebt in San Francisco. Mit einem Stipendium des National Geographic Society’s Covid-19 Emergency Fund for Jour­nalists begann sie 2020 Fisherman’s Wharf in Bildern festzuhalten. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus.

Mehr Informationen
Vita

mare-Redakteurin Martina Wimmer konnte gleich bei ihrer Ankunft in der Stadt die schöne neue Welt bestaunen. Ihr Taxi wurde von einem fahrerlosen, von KI gesteuerten Auto überholt.

Fotografin Laura Morton lebt in San Francisco. Mit einem Stipendium des National Geographic Society’s Covid-19 Emergency Fund for Jour­nalists begann sie 2020 Fisherman’s Wharf in Bildern festzuhalten. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus.

Person Von Martina Wimmer und Laura Morton
Vita

mare-Redakteurin Martina Wimmer konnte gleich bei ihrer Ankunft in der Stadt die schöne neue Welt bestaunen. Ihr Taxi wurde von einem fahrerlosen, von KI gesteuerten Auto überholt.

Fotografin Laura Morton lebt in San Francisco. Mit einem Stipendium des National Geographic Society’s Covid-19 Emergency Fund for Jour­nalists begann sie 2020 Fisherman’s Wharf in Bildern festzuhalten. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus.

Person Von Martina Wimmer und Laura Morton