Rächer aus der Tiefsee

Gruseln und büßen: Wenn Japaner wider die Umwelt freveln, kommt im Film Godzilla und lehrt sie das Fürchten

Neun Jahre nach den Atombombenabwürfen auf die Hafenstädte Hiroshima und Nagasaki und kurz nach dem Test einer 750 Mal stärkeren Bombe auf dem Bikini-Atoll, wodurch ein japanisches Fischerboot mit radioaktivem Fallout überschüttet wird, an dem sechs Fischer sterben und Tausende Japaner erkranken, weil sie den verseuchten Fang essen, also im Jahr 1954, kommt ein Film in Japans Kinos, der dieser neuen, hochtechnologischen Bedrohung mit archaischen Bildern entgegentritt. Er begründet ein Genre, das ebenso wie die atomare Bedrohung bis heute existiert und für das Japan inzwischen berühmt ist: den Monsterfilm, in dem Schauspieler in Monsterkostümen agieren. Das erste Ungeheuer, Godzilla, ein Riesensaurier, wurde durch Atomtests im Pazifik geweckt und schwimmt nun auf Tokio zu, um Rache zu nehmen. Zu Beginn fallen ihm zwei Kriegsschiffe zum Opfer. Das Untier ist etwa 500 Millionen Jahre alt, seine Fußstapfen sind radioaktiv, und es speit Feuer. Die Japaner wehren sich mit allen Mitteln.

Bei ihnen heißt das aufrecht gehende Ungeheuer Gojira, eine Kombination aus Gorilla und Kujira – Wal auf Japanisch. In den darauffolgenden Filmen gesellen sich zu Godzilla noch jede Menge andere Monster, um mit ihm zusammen gen Tokio zu ziehen, aber auch, um gegen ihn zu kämpfen oder um selbst die Stadt zu bedrohen, wobei in diesem Fall Godzilla umgekehrt den Japanern zu Hilfe kommt. Dabei gerät das Urmonster zwangsläufig immer harmloser – bis es zu einem wahren Kinderfreund wird. Als Spielzeug erobert es ab den Siebzigerjahren die Kinderzimmer, wo es dann mit Space-Hightech zu „Transformers“ mutiert.

Die japanischen Monster kommen fast alle aus dem Meer, nach getaner Arbeit zieht es sie auch wieder dorthin zurück, und sei es nur zum Sterben. Es gibt unter ihnen Riesenechsen, -krabben, -seesterne, -seedrachen, -tintenfische und andere Rieseneier legende Meeresungeheuer.

Meistens sind es deswegen Fischer, die die Katastrophe als Erste mitkriegen. Plötzlich brodelt die See, und eine Klaue oder Schere taucht auf, die dann nicht selten den Kutter in die Tiefe zieht. Über Godzilla wissen die auf einer entfernten Insel als Fischer lebenden Eingeborenen noch zu berichten: Er lebte von Fischen – bis die Menschen ihm alle wegfingen. Da kam er eines Tages wütend an Land. Früher hat man ihn noch mit einem Mädchenopfer besänftigt.

Das moderne Japan vertraut dagegen auf die Technik und seine Heimatschutzarmee. Dieser „Glaube“ schafft jedoch neue Probleme: Umweltschutzkatastrophen, die wiederum neue Monster hervorbringen, aus giftigen Abfällen etwa. Gleichzeitig mit der beginnenden Weltraumfahrt der Russen und Amerikaner stürzen sich jede Menge Monster aus dem All auf das arme Tokio, ja selbst Naturphänomene wie ausbrechende Vulkane und Tsunamis gebären plötzlich Ungeheuer.

Es ist gesagt worden, dass sich der sowjetische „Kosmos“-Begriff vom amerikanischen „Outer Space“ dadurch unterscheidet, dass Ersterer mit der irdischen Lebenswelt „harmonisch“ verbunden ist, während der US-Weltraum so etwas wie eine „new frontier“ darstellt. Die Monster in den japanischen Filmen, so sie mehr als ein Mal darin auftreten, durchlaufen beide Vorstellungen. Gleiches gilt auch für die aus den Weltmeeren plötzlich auftauchenden Kreaturen.

In seiner „Logik des Imaginären“ hat der Kulturforscher Roger Caillois am Beispiel der Riesenkraken den Unterschied zwischen dem westlichen Festlands- und dem japanischen Inseldenken herausgearbeitet. Während dieser auf dem Meeresgrund lebende Kopffüßer bei uns mit dem Dunklen und Unheimlichen des Meeres selbst gleichgesetzt wird, gilt der Krake in Japan eher als lüstern und trunken. Besonders junge Perlentaucherinnen haben es ihm angetan. Tatsächlich ging 2001 eine junge Biologin ein Liebesverhältnis mit einem Riesenkraken ein – allerdings nur zu Versuchszwecken und im Taucheranzug. In diesem Jahr sind die japanischen Taucher vor allem mit Riesenquallen beschäftigt; vielleicht resultiert auch daraus bald ein neuer Monsterfilm.


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mare No. 58

No. 58Oktober / November 2006

Von Helmut Höge

Der Soziologe Helmut Höge, 1947 geboren, arbeitete als Dolmetscher, Elefantenhändler, landwirtschaftlicher Betriebshelfer und Journalist. Heute schreibt er für die Tageszeitung und die Junge Welt. Sein jüngstes Buch ist die Reportagensammlung Neurosibirsk.

Alle Zitate stammen aus dem im Martin Schmitz Verlag erschienenen Werk Japan – Die Monsterinsel von Jörg Buttgereit. Der Berliner Horrorfilmregisseur behandelt darin alle Monsterfilme vom ersten (1954) bis zum zuletzt (2006) gedrehten aufs Innigste.

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Vita Der Soziologe Helmut Höge, 1947 geboren, arbeitete als Dolmetscher, Elefantenhändler, landwirtschaftlicher Betriebshelfer und Journalist. Heute schreibt er für die Tageszeitung und die Junge Welt. Sein jüngstes Buch ist die Reportagensammlung Neurosibirsk.

Alle Zitate stammen aus dem im Martin Schmitz Verlag erschienenen Werk Japan – Die Monsterinsel von Jörg Buttgereit. Der Berliner Horrorfilmregisseur behandelt darin alle Monsterfilme vom ersten (1954) bis zum zuletzt (2006) gedrehten aufs Innigste.
Person Von Helmut Höge
Vita Der Soziologe Helmut Höge, 1947 geboren, arbeitete als Dolmetscher, Elefantenhändler, landwirtschaftlicher Betriebshelfer und Journalist. Heute schreibt er für die Tageszeitung und die Junge Welt. Sein jüngstes Buch ist die Reportagensammlung Neurosibirsk.

Alle Zitate stammen aus dem im Martin Schmitz Verlag erschienenen Werk Japan – Die Monsterinsel von Jörg Buttgereit. Der Berliner Horrorfilmregisseur behandelt darin alle Monsterfilme vom ersten (1954) bis zum zuletzt (2006) gedrehten aufs Innigste.
Person Von Helmut Höge