Notizen einer Landratte, 30.

In dieser Folge macht sich unser Kolumnist Maik Brandenburg Gedanken über den Diätwahn in der Schiffsbranche, weiß aber auch Rat gegen das Übergewicht bei Passagieren und sieht in Aprikosenöl die Zukunft der Seefahrt

Die Stralsunder P+S-Werft ist pleite. Sie hat sich an zwei Großfähren verhoben, welche die Werft für die dänische Reederei Scandlines gebaut hatte. Den Dänen waren die schwimmenden Trümmer schlicht zu schwer. Es nützte nichts, dass die Stralsunder den Lack abkratzten, die Fähren verkürzten sowie Brücke, Schornstein und Motoren rauswarfen. Auch mit einem Rohbau wollten die Dänen nicht herumtouren.

Einst hatten die Stralsunder Erich Honeckers Staatsyacht gebaut, da ging es nicht um Nickligkeiten wie Größe und Gewicht. Die Weight Watchers im Vorstand der Reederei aber sahen das anders. Die Fähren mussten abspecken, der Kaufpreis magerte ebenfalls ab, er wurde geradezu klapperdürr. Die P+S-Werft ist ruiniert.

Offenbar greift der Diätwahn nun auf die Schiffsbranche über. Nach der Low-Carb-Welle, die den mit Kohle befeuerten Pötten den Garaus machte, trifft es jetzt jüngere Dickschiffe. Die Werft ließ zu, dass sich die Fähren über Jahre Stahl und unsinnige Aufbauten anfraßen, außerdem lagen sie bloß rum. Dabei hätten sie Bewegung gebraucht. Denn dies ist ja bekannt: Ein Schiff verliert rasch an Gewicht, wenn es einen Hafen anläuft. Zwar nimmt es bald wieder zu, weil es vor allem Container in sich reinschlingt, als gäbe es kein Morgen. Das ist der maritime Jo-Jo-Effekt. Doch so etwas kann man sich auch als Schiff mit etwas gutem Willen verkneifen. Im Fall der Fähren könnten die Passagiere draußen bleiben.

Nein, das geht nicht. Aber immerhin könnte man die Fahrgäste zwingen, nur bis zu einem bestimmten Höchstgewicht aufzusteigen, für das entsprechende Lean Management wäre Heidi Klum zu gewinnen. Wer zu schwer ist, zahlt einen Aufschlag und darf nur einen Teil der Strecke mitfahren. Den Rest muss er schwimmen. Das hilft Schiff wie Passagier, auf der Rücktour ist Letzterer dann garantiert schlank genug.

Gepäck darf weiterhin mit. Es sollte aber Platz bleiben, sich selbst darin unterzubringen, denn die Sitze sind natürlich ausgebaut. Ebenso die Reling – ein Passagier, der über Bord geht, spart 0,25 Liter Diesel auf 100 Seemeilen. Die Ballasttanks werden mit Reisenden befüllt, es war sowieso nie einzusehen, warum da ausgerechnet Wasser drin ist. Ein Kamel lädt sich ja auch keinen Sand auf, wenn es durch die Wüste marschiert.

Billiger wird das alles trotzdem nicht, jedenfalls für den Passagier. Das ist gut, denn so bleibt das Geld an Land, es wiegt ja auch einiges. Jedes Fährticket kostet gleich doppelt so viel, da ist dann rasch Luft im Portemonnaie (und kann nebenbei als Rettungsring benutzt werden, denn Rettungsringe sind selbstredend ebenfalls eingespart). Stichwort Luft: Was will man mit mehreren Decks? Das obere reicht, Seeluft ist gesund, und am Ende verpasst man noch die Eisberge. Platz genug sollte es geben, denn eine Brücke ist ja wegen der Fernsteuerung auch nicht mehr nötig.

Ja, Fernsteuerung. Was mit Fluggeräten geht, sollte auch bei Schiffen möglich sein. Eine Crew wäre also unnötig. Und ge- wichtssparend: keine dicke Luft mehr unter der Mannschaft, keine seelischen Lasten, kein schweres Gemüt, das drückt ja alles auf die Waage. Und muss in den Kraftstoff eigentlich immer Schweröl? Aprikosenöl hat sich in der Diätbranche bewährt, und ein paar zusätzliche Vitamine dürften auch Schiffen nicht schaden. Na also.

Der Gedanke, den einen oder anderen Motor auszubauen, war gleichfalls richtig. Nur scheint das halbherzig – die ganze Maschine muss weg. Ein paar Ruderer sollten stattdessen hinein, 1000 von ihnen wiegen immer noch weniger als ein Schiffsdiesel und entlasten gleich noch den Arbeitsmarkt. Gut auch die Idee mit dem Frachter, wo eine Art Lenkdrachen den Kahn voranbringt. Das Weltklima sagt bekanntlich mehr Stürme voraus, und in Sachen Geschäftsklima ist die lange bejammerte „Flaute auf dem Schiffsmarkt“ wohl ebenfalls vorbei.
Schade nur, dass die Stralsunder wenig davon haben. Da half es nicht, dass sie so viel Wind um ihre Lage machten. Streiks, Petitionen, weinende Schweißer im Fernsehen, was sollte das? Hatten die denn nicht kapiert: Es ging ums Abnehmen! Beschweren war genau der falsche Weg.

mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.
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