Mannfred Schleiff, MS „TMM San Antonio“

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Zu Beginn jeder Reise habe ich Neptun eine Flasche Schnaps geopfert. Nach dem Auslaufen aus Manzanillo an der Westküste von Mexiko war es ein besonders guter Whisky, denn die US-Wetterstationen hatten ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet angekündigt, das sich von Alaska langsam Richtung Süden schob. Die „TMM San Antonio“ war bis auf den letzten Stellplatz beladen mit Containern für Japan, Korea und Hongkong. Nach einigen Tagen auf dem Pazifik feierten Crew und Passagiere (unter ihnen meine Frau Elke) nördlich von Hawaii das neue Millennium, vermutlich als einige der Letzten überhaupt, denn wir befanden uns unmittelbar vor der Datumsgrenze. Es gab ein Barbecue und Salate – und kurz darauf noch einen Nachtisch, der mir überhaupt nicht schmeckte: ein Fax von der Reederei. Unser Schwesterschiff stecke bereits in den Ausläufern des Sturms und befinde sich in Not: Wasser sei ins Vorschiff eingedrungen, nachdem Brecher eine Luke weggerissen hätten.

Mein Kollege fuhr einen nördlichen Kurs, der zwar kürzer war, aber im Fall eines Sturms eben auch gefährlicher. Ich hatte mich für die südliche, weniger riskante Route entschieden – und das nächste Satellitenbild bestätigte meinen Entschluss: Dieser Orkan war ein Monstrum mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 210 Kilometern pro Stunde. Auf der erweiterten Beaufortskala entspricht das der Stärke 17.

Am 3. Januar 2000 wechselte der Wind rasch von Nordnordost auf Westnordwest und nahm an Stärke zu. Ich ließ die Container mit zusätzlichen Spannschrauben und Laschstangen sichern. Aus der Küche gab es nur noch Eintopf, weil nun sowieso niemand mehr Appetit verspürte. Die Wellen erreichten bereits Höhen von acht Metern und mehr.

4. Januar. Das Wetter war nun so extrem, dass ich mich entschied, den Bug in die See zu legen, um so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Der Zeiger des Barometers fiel unaufhörlich, und die Luft vermischte sich bereits mit Schaum. Ich ließ nun Doppelwachen gehen, denn selbst hartgesottene Seeleute können inmitten solcher Naturgewalten die Nerven verlieren. Ich will nicht sagen, dass wir Angst spürten, aber mulmig wurde uns schon, weil wir merkten, dass der Sturm immer weiter aufdrehte. Die „TMM San Antonio“ zitterte unter den Schlägen der Brecher, es war ein Kreischen zu hören wie von tausend Stahlschaufeln auf Beton.

Gegen Mitternacht begann die See regelrecht zu kochen. Die nächsten Stunden kämpften wir uns mit höchster Konzentration durch das Inferno. Wir ritten die Wellen ab, indem wir im Tal ein wenig die Fahrt erhöhten und sie auf dem Kamm drosselten. So konnten wir vermeiden, dass der Bug bergab zu tief ins Wasser schnitt und nicht wieder auftauchte – eine der größten Gefahren für jedes Schiff und Ursache zahlreicher Verluste.


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mare No. 63

No. 63August / September 2007

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

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Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt