Linien für die Ewigkeit

Dem deutsch-amerikanischen Maler Lyonel Feininger, vor den Nazis nach New York geflohen, waren Segelschiffe und das Meer zeitlebens eine Passion. Der Ursprung hierfür liegt an der deutschen Ostsee­küste. Hier fand er zu seinem ureigenen Prismaismus

Lyonel Feininger ist Anfang seiner Sechziger, als er 1932 wieder einmal an der Ostsee ist, um seine Modellboote fahren zu lassen. Lange hat er an den Seglern getüftelt, hat Kiele umgeformt, Blei in Buge platziert, Masten gesetzt, Segel genäht, bis seine Fingerkuppen wund waren. Jetzt freut er sich, wie rasch seine neuesten Geschöpfe über das Wasser gleiten, wie stabil sie den Wellen trotzen. Für die Regatten, die er ­so gern mit seinen erwachsenen Söhnen veranstaltet, verspricht das einiges.

Es gibt ein Foto von Feininger aus ­dieser Zeit. Er steht im dunklen Schwimmanzug am Strand. Ein sportlicher älterer Herr, schlank, langgliedrig, das Resthaar zurückgekämmt, das markante Kinn emporgereckt. Seine Arme streckt er schräg nach oben aus und hält wie eine Trophäe einen Zweimaster in den Händen, betrachtet ihn im gleißen­den Licht des wolkenlosen Himmels – und lächelt. Feininger ist glücklich. Er ist den drei Dingen nahe, die er liebt wie wenig anderes und ohne die er wohl kaum zu einem der großen Maler des ­20.  Jahr­hunderts aufgestiegen wäre: dem Strand, dem Meer, den Booten.

Das Erste, was Lyonel Feininger in ­seinem Leben zeichnet, sind Boote. Illustrationen, nach denen er als Grundschüler seine ersten Modelle baut. In New York, wo er 1871 geboren wird, probiert er sie auf einem See im Central Park aus. Manchmal gesellen sich drei ausgediente Kapitäne zu ihm. 

Oft bleibt er allein. Lyonel ist ein einsames Kind. Seine deutschstämmigen Eltern, die Mutter Pianistin und Sängerin, der Vater Komponist und Geiger, sind mitunter monatelang auf Konzertreisen, lassen ihn währenddessen in einer Pflegefamilie. Er unternimmt lange Spaziergänge zum Hafen, bestaunt dort „ein wundervolles Schauspiel“, wie er sich später erinnert: „Riesenschiffe, Wälder von Masten und Quermasten.“ Zu Hause erdenkt er sich in ­unzähligen Stunden sein eigenes Reich, verbildlicht es auf detaillierten Karten mit Meeren, Eisbergen, Inseln. „The Coast of Nevermore“ nennt er eine Küste dieser Traumwelt, „die Küste von Nimmermehr“. Sie ist eine Chiffre für die unstillbare Sehnsucht, die Feininger in diesen prägenden Jahren ausbildet. Sie wird ihn fortan antreiben, ihn zeitlebens zum Suchenden machen.

Als er 16 Jahre alt ist, besteigt er einen Dampfer nach Hamburg, liest bei hefti­gem Seegang sein Lieblingsbuch „Yachts and Yachting“. Eigentlich soll er in Europa zum Violinisten ausgebildet werden. Doch sosehr er die Musik schätzt (Bach ist sein Held, später wird er selbst komponieren) – die Malerei reizt ihn ungleich mehr. Er setzt sich gegen den Willen seiner Eltern durch, nimmt Zeichenunterricht, studiert in Berlin an der ­Königlichen Akademie der Künste, heiratet, wird Vater zweier Töchter, steigt auf zu einem der begehrtesten Karikaturisten der weltweit größten Pressestadt Berlin – und ist todunglücklich.

Die Auftragsarbeiten der Magazine, so empfindet er es, beschneiden seine Kreativität. Er leidet in den Redaktionssitzungen, die „ewig“ dauern und die er oft nur übersteht, indem er die ganze Zeit skizziert. „Es sind alles Axthiebe, die ich von mir gebe“, schreibt er an seine Freundin Julia Berg, für die er 1905 seine Familie verlässt. „Es steckt so viel in mir. Sei nur traurig mit mir, dass ich auf solchem Wege mein Geld verdienen muss.“ Doch den Sprung zur Malerei traut er sich nicht; immer wieder erschüttern Selbstzweifel sein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Wohl nur, weil Julia ihm unermüdlich Mut zuspricht, beginnt er ab 1907, Gemälde zu schaffen. Seine ersten Werke zeigen typisierte Gestalten, Arbeiter, Geistliche, fein gekleidete Unter­nehmer, die mit grotesk verlängerten Gliedmaßen durch städtische Szenerien schreiten. Fast scheint es, als würde Feininger seine Karikaturen nun mit Ölfarben auf Leinwand bannen. Und dennoch fühlt er sich wie neugeboren. „Es ist wundervoll, diese neu entwickelte Fähigkeit – Töne und Farben nebeneinander versetzen zu können und miteinander zu vergleichen“, schreibt er Julia. 


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Johannes Teschner

Johannes Teschner, geboren 1981 in Bremen, hat für mare schon über die Kunst von Claude Monet und Norbert Schwontkowski geschrieben. Lyonel ­Feiningers Begeisterung für Modellboote erinnerte ihn an seine eigene Passion für ferngesteuerte ­Autos. Anders aber als dem Maler, der sich ein ­Leben lang an den kleinen Objekten erfreute, ist ­Teschner sein Hobby irgendwo auf dem Weg ins ­Erwachsenenalter verloren gegangen. Schade eigentlich, findet er.

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Vita Johannes Teschner, geboren 1981 in Bremen, hat für mare schon über die Kunst von Claude Monet und Norbert Schwontkowski geschrieben. Lyonel ­Feiningers Begeisterung für Modellboote erinnerte ihn an seine eigene Passion für ferngesteuerte ­Autos. Anders aber als dem Maler, der sich ein ­Leben lang an den kleinen Objekten erfreute, ist ­Teschner sein Hobby irgendwo auf dem Weg ins ­Erwachsenenalter verloren gegangen. Schade eigentlich, findet er.
Person Von Johannes Teschner
Vita Johannes Teschner, geboren 1981 in Bremen, hat für mare schon über die Kunst von Claude Monet und Norbert Schwontkowski geschrieben. Lyonel ­Feiningers Begeisterung für Modellboote erinnerte ihn an seine eigene Passion für ferngesteuerte ­Autos. Anders aber als dem Maler, der sich ein ­Leben lang an den kleinen Objekten erfreute, ist ­Teschner sein Hobby irgendwo auf dem Weg ins ­Erwachsenenalter verloren gegangen. Schade eigentlich, findet er.
Person Von Johannes Teschner