La Señora

Die portugiesische Jüdin Gracia Nasi war die reichste Kauffrau der Renaissance, Diplomatin und Philanthropin. Und einer der meistverfolgten Menschen ihrer Epoche

Lissabon platzt Anfang des 16.   Jahrhunderts aus allen Nähten. Seit der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama im Jahr 1498 die Meeresroute nach Indien entdeckt hat und Gewürze, Tuche und Edelsteine nicht mehr über die Seidenstraße und Venedig nach Europa gelangen, sondern über Portugal, ist das Land auf dem Höhepunkt seiner Macht. Lissabon ist das Epizentrum des explodierenden Überseehandels. In der restlichen Welt heißt es, die breiten Plätze und engen Gassen der Hafenstadt am Tejo seien mit Gold gepflastert. 

In den Adelspalästen, aber auch in den einfachen Schenken lacht man dar­über, dass die einst allmächtigen Araber und Venezianer ihre Spezereien noch immer über den Landweg auf Kamel­rücken transportieren, während die Portugiesen auf die neu entdeckten Seewege und ihre Karavellen setzen, die leichter, schneller und wendiger als alle anderen Schiffe ihrer Zeit sind.

In dieser fiebrigen merkantilen Atmosphäre wird Gracia Nasi am 20. Juni 1510 in einer wohlhabenden Lissaboner Familie von Marranen, zum Christentum zwangskonvertierten Juden, geboren. Die ­Benennung Marrane ist ein Schimpf- und Spottwort, das vom spanischen „marrano“ stammt, was „Schwein“ bedeutet. Ihre eigentlichen Vor- und Nachnamen darf Gracia Nasi nicht tragen, sondern muss sich Beatriz de Luna nennen, jenen Namen, den man ihr bei der erzwungenen christlichen Taufe gegeben hat. 

Die jüdischen Rituale, wie das Anzünden von Schabbatkerzen am Freitagabend oder die Zubereitung von ungesäuertem Brot zum Pessachfest, praktiziert sie im Geheimen. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, besuchen viele Marranen katholische Gottesdienste. Vor dem Betreten der Kirche murmeln sie standhaft: „Hier kommt mein Körper, aber nicht meine Seele, nicht mein Herz.“ 

Die unglaubliche Karriere der Gracia Nasi ist von Verstecken und Flucht geprägt. Fast ihr ganzes Leben lang wird sie trotz ihres Reichtums bespitzelt, denunziert, verfolgt. Die Schicksalsschläge ­meistert sie mit Klugheit, Verhandlungs­talent, Charme und Chuzpe. Für Juden gibt es zu dieser Zeit in Portugal, wohin die Judenverfolgung von Spa­nien aus wie ein Krebsgeschwür herübergewuchert ist, nur die Wahl zwischen Zwangstaufe und Ausweisung. Auch als „cristãos-novos“, als scheinbare Neuchris­ten, werden sie mit Argwohn und wegen ihrer unternehmerischen Erfolge mit Neid betrachtet. 

Erst viele Jahre später wird sich die sephardische Kauffrau zu ihrem richtigen Namen bekennen können und als Dona Gracia Nasi, als reichste Frau der Renaissance, in die Geschichtsbücher eingehen. Sie wird in einem Atemzug mit anderen berühmten Frauen jener Epoche genannt werden, mit Königinnen wie Elisabeth I., Maria Stuart und Katharina von Medici oder mit Fürstinnen und Adeligen wie Lu­crezia Borgia und Isabella d’Este.

1528 heiratet Gracia Nasi, der die Chronisten Schönheit und Anmut bescheinigen, den ebenfalls zwangskonvertierten Kaufmann Francisco Mendes, mit jüdischem Namen Semah Benveniste. Die Trauung erfolgt nach katholischem Brauch in der Kathedrale von Lissabon, doch einige Tage später wird im Verborgenen eine jüdische Hochzeit mit dem traditio­nellen Ehevertrag, der Ketubba, nachgeholt. Francisco Mendes hat mit seinem Bruder Diogo eines der mächtigsten Handelsimperien im ganzen Mittelmeerraum aufgebaut. 

Fast täglich treffen ihre Karavellen in den großen Häfen des Landes ein, be­laden mit Gold, Silber, Porzellan und Seide, aber vor allem mit Pfeffer, Muskatnuss, Zimt, Vanille, Gewürznelke und Ingwer. Die Mendes-Brüder gelten als Gewürzkönige – sie profitieren von den fernen Gewürzpara­die­sen, die sich die Portugiesen mit seefahrerischen Leistungen, aber auch mit kolonialer Gewalt unter den Nagel gerissen haben: die indische Malabarküste, Ceylon, Java, Sumatra und die Molukken.


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mare No. 164

mare No. 164Juni / Juli 2024

Von Rob Kieffer

Rob Kieffer, Jahrgang 1957, freier Journalist in Luxemburg, hat nachgeschaut, wer die Gracia ­Nasis von heute sind. Die Rangliste der reichsten Frauen wird angeführt von L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers, gefolgt von Alice Walton aus der Walmart-Dynastie und Julia Flesher Koch, Erbin von Koch Industries.

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Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, freier Journalist in Luxemburg, hat nachgeschaut, wer die Gracia ­Nasis von heute sind. Die Rangliste der reichsten Frauen wird angeführt von L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers, gefolgt von Alice Walton aus der Walmart-Dynastie und Julia Flesher Koch, Erbin von Koch Industries.
Person Von Rob Kieffer
Vita Rob Kieffer, Jahrgang 1957, freier Journalist in Luxemburg, hat nachgeschaut, wer die Gracia ­Nasis von heute sind. Die Rangliste der reichsten Frauen wird angeführt von L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers, gefolgt von Alice Walton aus der Walmart-Dynastie und Julia Flesher Koch, Erbin von Koch Industries.
Person Von Rob Kieffer