Krabbenjäger: Fisch oder stirb

Wer in der Beringsee auf Jagd nach den begehrten Schneekrabben geht, kann schnell reich werden. Oder sein Leben verlieren. Arktische Stürme und unberechenbare Wellen machen den Job auf den Kuttern zu einem der gefährlichsten der Welt

Seattle, Mai 2008. Ein eleganter Mann mit akkurat gestutztem Bart betritt den gedämpft beleuchteten Speisesaal im „Nell’s“, einem schicken Restaurant im Norden der Stadt. Er hat eigenen Wein mitgebracht, einen Burgunder, das ist hier erlaubt. Zielstrebig setzt er sich an den ihm zugewiesenen Tisch. Gleich werden seine Freunde eintreffen.

Bill Widing, 51 Jahre alt, ist ein distinguierter Geschäftsmann, Eigentümer eines hitchcockwürdigen Landhauses in den Bergen Seattles. Ein Bonvivant, der heute von seiner Frau Clair begleitet wird. Ihren 50. Geburtstag will er in diesem Drei-Sterne-Lokal feiern. Es ist ein besonderer Abend. Besonders deshalb, weil Bill da ist. Denn eigentlich ist Bill nie da, sagen seine Freunde. Jedes Jahr zieht es ihn für mehrere Monate in die Gewässer der Beringsee, um dort Schwarzbarsche zu fangen. Für die Männer der „Aleutian Beauty“, eines seiner zwei Fangschiffe, ist Bill ein Typ wie sie: großes Mundwerk, vom Salz gesträhnte Haare, einer, der in T-Shirt und Unterhose herumläuft, sobald er sein Ölzeug ausgezogen hat. Und er ist ein erfahrener Kommandant, dem man ohne Zögern in die unwirtlichsten Ecken Alaskas folgt.

Das Geschäft mit den Schwarzbarschen ist lukrativ, und die Bedingungen sind schwierig – doch kein Vergleich zum Sturm und zur Eiseskälte, denen Bill ausgesetzt war, als er noch Schneekrabben jagte. 20 Jahre riskierte er dafür sein Leben. Den Krustentieren verdankt er seinen Reichtum. Auch heute noch kassiert er kräftig ab, obwohl er nicht mehr selbst nach ihnen fischt.

Beringsee, Januar 2003. Die „Amatuli“ ist ein Kutter von 38 Meter Länge, mit fünf Mann Besatzung, Bill hat das Kommando. Die Nacht ist rabenschwarz. Himmel und Ozean verbünden sich gegen das Schiff, das es wagt, mitten im Winter in sie einzudringen. Die orangefarbenen und roten Umrisse der Seeleute bewegen sich in einem flutlichtbeschienenen, wirbelnden Lichthof aus Schnee und eisiger Gischt. Das Tosen der Elemente wird nur noch übertönt von der auf volle Lautstärke gedrehten Musik an Deck.

Auch drinnen auf der Kommandobrücke hämmert ein Lautsprecher den immer gleichen Rhythmus von Rapper Eminem aus. Bill, der am Funkgerät steht, um mit seiner Crew zu reden, scheint die Beschallung nicht zu stören. „Ich mag Rock oder Blues lieber, aber für die Mannschaft ist es gut. Mit der Musik arbeiten sie besser und länger“, sagt er, ohne die fünf Burschen dabei aus den Augen zu verlieren, die sich gerade darauf vorbereiten, ihre erste Reuse in dieser Saison hochzuholen. Insgesamt 100 Reusen müssen geleert werden.

Bill lässt es sich überhaupt nicht anmerken, dass jetzt, vier Tage nach dem Auslaufen in Dutch Harbor auf Unalaska, für ihn ein entscheidender Moment gekommen ist. Denn er hat hoch gepokert. Statt in dem Gebiet zu fischen, das er in- und auswendig kennt, hat er sich entschieden, viel höher in den Norden zu fahren, bis in die Nähe des 60. Breitengrads, in eine Gegend, die normalerweise vereist ist. In diesem Jahr aber ist es möglich, dorthin zu gelangen. Angeblich wimmelt es da nur so von Schneekrabben.

Nun die Stunde der Wahrheit. Endlich wird er wissen, ob seine Strategie aufgegangen ist, ob die mächtigen Eisenkäfige, die sie in der Nacht zuvor hinabgelassen haben, tatsächlich prall gefüllt sind mit den wertvollen Arktischen Seespinnen, Chinoecetes, die die Fischer „opies“ oder eben Schneekrabben nennen und deren Beine die Japaner so lieben. 70 Prozent der Fangs gehen nach Japan; dort wird viel Geld für das Krustentier ausgegeben.

Nicht nur in Fernost, überall in der Welt gilt das süßlich schmeckende Schneekrabbenfleisch als eine Delikatesse. Serviert wird es mit Wasabi oder Früchten, mit Salsa oder Mango-Curry-Sauce, warm oder kalt. Die rohe Schneekrabbe ist zudem bei Sushi-Liebhabern besonders begehrt. Das zarte Fleisch sei vielseitig einsetzbar, schwärmen Köche, und so sind Schneekrabben sind immer häufiger auf den Speisekarten der Spitzenrestaurants zu finden. Ein Trend, der Bills Männern gefallen dürfte. Läuft die Fangsaison gut, können die Seeleute darauf hoffen, dass jeder von ihnen 25 000 Euro bekommt. Ein Vermögen, das sie alle längst ausgegeben haben – in ihren Träumen.

Bill drückt auf einen Knopf, eine Glocke an Deck scheppert. Signal an die Besatzung. Schon sind zwei mit einem Tau verbundene Bojen auf Backbord zu sehen. Unten, 60 Meter tief, wartet die erste Reuse. Sofort greift Freddie Mangatai, 29, ein kräftiger Samoaner, der eigentlich Bordmechaniker ist, zu einem Haken, legt das Stahlseil ein und macht sich daran, den Fang an Bord zu hieven. Tim MacWilliams, 24 Jahre und von irisch-japanischer Herkunft, steht an der Winde bereit. Auf den gischtenden Brecher, der ihn vollkommen durchnässt, achtet er nicht. Jeder Handgriff sitzt. Alles geht sehr schnell. Muss es auch. Die Devise ist: möglichst viele Krabben in möglichst kurzer Zeit.


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mare No. 70

No. 70Oktober / November 2008

Von Donatien Garnier und Hélène David

Donatien Garnier, geboren 1969, ist Autor und Redakteur der Reportageagentur Argos in Paris. Gemeinsam mit der Argos-Fotografin Hélène David, Jahrgang 1971, arbeitet er an einer mehrteiligen Dokumentation über Seefahrer. Der erste Teil, Amatuli men, wurde beim „Festival international de la photo de mer“ im bretonischen Vannes mit einem Preis ausgezeichnet.

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Vita Donatien Garnier, geboren 1969, ist Autor und Redakteur der Reportageagentur Argos in Paris. Gemeinsam mit der Argos-Fotografin Hélène David, Jahrgang 1971, arbeitet er an einer mehrteiligen Dokumentation über Seefahrer. Der erste Teil, Amatuli men, wurde beim „Festival international de la photo de mer“ im bretonischen Vannes mit einem Preis ausgezeichnet.
Person Von Donatien Garnier und Hélène David
Vita Donatien Garnier, geboren 1969, ist Autor und Redakteur der Reportageagentur Argos in Paris. Gemeinsam mit der Argos-Fotografin Hélène David, Jahrgang 1971, arbeitet er an einer mehrteiligen Dokumentation über Seefahrer. Der erste Teil, Amatuli men, wurde beim „Festival international de la photo de mer“ im bretonischen Vannes mit einem Preis ausgezeichnet.
Person Von Donatien Garnier und Hélène David