Jasmin Tabatabai, Michael Gross, Ingrid Steeger, Wolfgang Niedecken, Andreas Gursky

JASMIN TABATABAI
Schauspielerin

Mein Vater stammt aus dem Iran, meine Mutter aus München, ich habe meine Kindheit in Teheran verbracht. Im Sommer, wenn es unerträglich heiß wurde – die Stadt hatte schon in den siebziger Jahren ein Smogproblem –, sind wir ans Kaspische Meer gefahren. Das ist genau genommen kein Meer, sondern ein Salzwassersee, der größte See der Erde. Er liegt an der Nordgrenze des Iran und ist bis heute das beliebteste Ausflugsziel des Landes, die Iraner fahren bei jeder Gelegenheit dorthin. Das Klima dort ist für iranische Verhältnisse eher mild, die Luft frisch. Die Region ist sehr fruchtbar, hier wird Reis angebaut, und der berühmte persische Kaviar stammt ebenfalls von Stören aus dem Kaspischen Meer.

Der Weg von Teheran ans Kaspische Meer führte früher über eine Passstraße, die das Elbursgebirge überquert. Für die rund 200 Kilometer Luftlinie brauchten wir mit dem Auto vier Stunden. Schon die Fahrt war aufregend, das Gebirge ist sehr hoch, die Südseite ist karg bewachsen und verkarstet, doch sobald man den Gipfel erreicht, hat man einen herrlichen Blick auf blühende, grüne Landschaft.

Meine Eltern hatten ein kleines Häuschen in einer Feriensiedlung, nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt. Wenn man sich zum Fenster hinauslehnte, konnte man das Meer sehen. Die Bungalows waren im französisch-marokkanischen Stil gebaut, die Siedlung hieß Darya Kenar, persisch für „Am Meer“. Sie war mit einem Schlagbaum für den normalen Autoverkehr gesperrt. Nur Bewohner und deren Gäste durften hinein.

Die Sommer dort waren ein Traum für mich, sie erschienen mir endlos. Im Iran dauern die Sommerferien drei Monate, einen großen Teil davon haben wir jedes Jahr in unserem Ferienhaus verbracht. Ich konnte den ganzen Tag draußen toben, ich erinnere mich an den weichen, feinkörnigen Sandstrand, die flirrende Hitze, die aber nie so drückend wurde wie im vom Wüstenklima geprägten Teheran, an spektakuläre Sonnenuntergänge. Ich habe es geliebt, im Meer zu baden, es war seicht und es gab keine Wellen, für Kinder war es ungefährlich. Das Wasser war sanft und brannte nicht in den Augen, der Salzanteil liegt deutlich niedriger als etwa im Mittelmeer. Es war einfach herrlich – meine Geschwister und ich trieben uns unbeaufsichtigt herum, bis die Sonne unterging, das Ferienhaus als Anlaufstation zum Essen oder Umziehen in direkter Nähe. Die totale Freiheit.

Damals, vor der islamischen Republik, waren die Strände am Kaspischen Meer gemischtgeschlechtlich, heute wird streng zwischen Männer- und Frauenstränden unterschieden. Jungen Menschen, die diese Trennung ignorieren, die gemeinsam dort am Strand feiern und Alkohol trinken, drohen drakonische Strafen. Wenn sie zuvor nicht die richtigen Personen bestochen haben, kann es geschehen, dass die Revolutionswächter die Party stürmen, Peitschenhiebe und Gefängnisstrafen sind an der Tagesordnung. Leider ist das die alltägliche Realität im heutigen Iran.

Meine Schwester, die im Iran lebt, fährt bis heute mit ihrer Familie bei jeder Gelegenheit ans Kaspische Meer. Sie besitzt ebenfalls ein kleines Ferienhaus dort, das Haus meiner Eltern ist vermietet. Ich wünsche mir sehr, dass auch ich die Möglichkeit hätte, meinen Kindern diesen Ort meiner Kindheit zu zeigen. Leider lässt die politische Situation im Iran das nicht zu. Ich hoffe sehr, dass sich das irgendwann ändert.


MICHAEL GROSS
Schwimmlegende

Ich schwimme gerne. Aber Wasser ist nicht gleich Wasser. Zwar bin ich insgesamt bereits gut 38 000 Kilometer geschwommen. Also fast einmal um den Globus und durch alle Ozeane. Tatsächlich jedoch nur einige Dutzend davon im Meer.

Das liegt nicht nur daran, dass zu meiner Zeit Wettkämpfe fast nur im Rechteck eines künstlichen Beckens stattfanden. Heute ist die grenzenlose Freiheit, die Meere dem Schwimmer bieten, sogar eine olympische Disziplin: zehn Kilometer im „offenen Gewässer“. Ehrlich, das wäre nichts für mich.

Ich habe großen Respekt vor dem Meer. Es spielt mit mir, nicht ich spiele mit dem Wasser. Die Tiefen und Untiefen, die Ströme und Strömungen, die Wellen und Welten. Und der Mensch, egal wie gut er schwimmen kann, ist dort ziemlich hilflos.

Die Vielfalt der Meere ist ebenso überwältigend. So vieles ist noch unentdeckt und verbirgt sich in der Finsternis. Und nur die wenigsten Stellen sind lichtdurchflutet und für Menschen ohne großen Aufwand erreichbar. Wir wissen weniger über diese nahen Tiefen als über die fernsten Sterne.

Das fasziniert mich und ärgert mich zugleich. Immerhin stammt unser Leben aus dem Meer. Und trotzdem rauben wir das Meer aus, obwohl es die Quelle unseres Lebens ist und uns sogar heute in unglaublichem Maß hilft. Unmengen von Kohlendioxid, das wir in die Luft blasen, werden im Wasser gebunden.

Ja, ich habe großen Respekt vor dem Meer, dem Ort unserer Herkunft und Zukunft. Dennoch könnte ich ein bisschen mehr Zeit dort zum Schwimmen verbringen. Ich werde es versuchen und ein paar Runden mehr im Meer ziehen. Es müssen ja nicht wieder 38 000 Kilometer sein.

 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 100. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 100

No.100Oktober / November 2013

Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.

Jasmin Tabatabai (Jahrgang 1967) kam in Teheran als jüngste Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter zur Welt. Während der islamischen Revolution verließ ihre Familie 1979 den Iran und zog nach Deutschland. Von ihrer Kindheit im Iran erzählt sie auch in ihrem Buch „Rosenjahre“. Tabatabai studierte in Stuttgart Musik und Schauspiel, spielte in zahlreichen deutschen Kinofilmen wie „Bandits“, „Late Show“ oder „Der Baader-Meinhof-Komplex“ und arbeitet außerdem als Komponistin und Sängerin.

Michael Gross (Jahrgang 1964) hatte als Kind Schmerzen, weil er zu schnell wuchs. Sein Hausarzt schickte ihn daher zum Schwimmen. Es folgten 21 Titel bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften und zwölf Weltrekorde. Wegen seines Schwimmstils im Schmetterling und wegen seiner großen Armspannweite von 2,13 Metern bei 2,01 Meter Körpergröße erhielt er den Spitznamen „Albatros“.

Ingrid Steeger (Jahrgang 1947), geboren als Ingrid Anita Stengert in Berlin, begann ihre Schauspielkarriere in den 1970er Jahren als Darstellerin im „Schulmädchenreport“. Dem breiten Publikum bekannt wurde sie durch die legendäre Comedyserie „Klimbim“, wo sie von 1973 bis 1979 als Nummerngirl und in der Rolle der „Horror-Gabi“ brillierte. Heute arbeitet sie als Theaterschauspielerin, auf der Bühne ist sie derzeit zu sehen im Theater Alte Molkerei in Worpswede.

Wolfgang Niedecken (Jahrgang 1951) rief 1976 die Kölschrock-Band BAP ins Leben. Bis heute ist er Sänger, Frontmann, Texter und Komponist der Gruppe und das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Niedecken hat den Kölner Dialekt in der deutschen Rockmusik etabliert. Daneben hat er sich einen Namen als Maler gemacht.

Andreas Gursky (Jahrgang 1955) studierte in Essen Visuelle Kommunikation und besuchte anschließend die Kunstakademie Düsseldorf. Seine Großformatfotos von Landschaften, Architektur, Innenräumen und Menschenmassen „sind immer von zwei Seiten komponiert“, sagte er einmal in einem Interview. „Sie sind aus extremer Nahsicht bis ins kleinste Detail lesbar. Aus der Distanz werden sie zu Megazeichen.“

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Vita

Jasmin Tabatabai (Jahrgang 1967) kam in Teheran als jüngste Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter zur Welt. Während der islamischen Revolution verließ ihre Familie 1979 den Iran und zog nach Deutschland. Von ihrer Kindheit im Iran erzählt sie auch in ihrem Buch „Rosenjahre“. Tabatabai studierte in Stuttgart Musik und Schauspiel, spielte in zahlreichen deutschen Kinofilmen wie „Bandits“, „Late Show“ oder „Der Baader-Meinhof-Komplex“ und arbeitet außerdem als Komponistin und Sängerin.

Michael Gross (Jahrgang 1964) hatte als Kind Schmerzen, weil er zu schnell wuchs. Sein Hausarzt schickte ihn daher zum Schwimmen. Es folgten 21 Titel bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften und zwölf Weltrekorde. Wegen seines Schwimmstils im Schmetterling und wegen seiner großen Armspannweite von 2,13 Metern bei 2,01 Meter Körpergröße erhielt er den Spitznamen „Albatros“.

Ingrid Steeger (Jahrgang 1947), geboren als Ingrid Anita Stengert in Berlin, begann ihre Schauspielkarriere in den 1970er Jahren als Darstellerin im „Schulmädchenreport“. Dem breiten Publikum bekannt wurde sie durch die legendäre Comedyserie „Klimbim“, wo sie von 1973 bis 1979 als Nummerngirl und in der Rolle der „Horror-Gabi“ brillierte. Heute arbeitet sie als Theaterschauspielerin, auf der Bühne ist sie derzeit zu sehen im Theater Alte Molkerei in Worpswede.

Wolfgang Niedecken (Jahrgang 1951) rief 1976 die Kölschrock-Band BAP ins Leben. Bis heute ist er Sänger, Frontmann, Texter und Komponist der Gruppe und das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Niedecken hat den Kölner Dialekt in der deutschen Rockmusik etabliert. Daneben hat er sich einen Namen als Maler gemacht.

Andreas Gursky (Jahrgang 1955) studierte in Essen Visuelle Kommunikation und besuchte anschließend die Kunstakademie Düsseldorf. Seine Großformatfotos von Landschaften, Architektur, Innenräumen und Menschenmassen „sind immer von zwei Seiten komponiert“, sagte er einmal in einem Interview. „Sie sind aus extremer Nahsicht bis ins kleinste Detail lesbar. Aus der Distanz werden sie zu Megazeichen.“

Person Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.
Vita

Jasmin Tabatabai (Jahrgang 1967) kam in Teheran als jüngste Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter zur Welt. Während der islamischen Revolution verließ ihre Familie 1979 den Iran und zog nach Deutschland. Von ihrer Kindheit im Iran erzählt sie auch in ihrem Buch „Rosenjahre“. Tabatabai studierte in Stuttgart Musik und Schauspiel, spielte in zahlreichen deutschen Kinofilmen wie „Bandits“, „Late Show“ oder „Der Baader-Meinhof-Komplex“ und arbeitet außerdem als Komponistin und Sängerin.

Michael Gross (Jahrgang 1964) hatte als Kind Schmerzen, weil er zu schnell wuchs. Sein Hausarzt schickte ihn daher zum Schwimmen. Es folgten 21 Titel bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften und zwölf Weltrekorde. Wegen seines Schwimmstils im Schmetterling und wegen seiner großen Armspannweite von 2,13 Metern bei 2,01 Meter Körpergröße erhielt er den Spitznamen „Albatros“.

Ingrid Steeger (Jahrgang 1947), geboren als Ingrid Anita Stengert in Berlin, begann ihre Schauspielkarriere in den 1970er Jahren als Darstellerin im „Schulmädchenreport“. Dem breiten Publikum bekannt wurde sie durch die legendäre Comedyserie „Klimbim“, wo sie von 1973 bis 1979 als Nummerngirl und in der Rolle der „Horror-Gabi“ brillierte. Heute arbeitet sie als Theaterschauspielerin, auf der Bühne ist sie derzeit zu sehen im Theater Alte Molkerei in Worpswede.

Wolfgang Niedecken (Jahrgang 1951) rief 1976 die Kölschrock-Band BAP ins Leben. Bis heute ist er Sänger, Frontmann, Texter und Komponist der Gruppe und das einzig verbliebene Gründungsmitglied. Niedecken hat den Kölner Dialekt in der deutschen Rockmusik etabliert. Daneben hat er sich einen Namen als Maler gemacht.

Andreas Gursky (Jahrgang 1955) studierte in Essen Visuelle Kommunikation und besuchte anschließend die Kunstakademie Düsseldorf. Seine Großformatfotos von Landschaften, Architektur, Innenräumen und Menschenmassen „sind immer von zwei Seiten komponiert“, sagte er einmal in einem Interview. „Sie sind aus extremer Nahsicht bis ins kleinste Detail lesbar. Aus der Distanz werden sie zu Megazeichen.“

Person Die Texte der Autorinnen und Autoren sind aus dem Jahr 2013.
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