Jan hat den Dreh raus

Ein Muschelrestaurant glänzt in Schneckenform an Hollands Küste

Strandbuden säumen die gesamte niederländische Küste. Es gibt eigentlich nur zwei Varianten: unprätentiöse Strandkneipen, in denen Pommes frites mit dicker Erdnusssauce und Heineken serviert werden, oder Lounge-Bars, vor denen sich Holländerinnen im Bikini mit einem Glas Rosé in der Sonne räkeln und Minifrühlingsrollen knabbern. Beide Varianten hausen unweigerlich in mobilen Containerbauten, die mit dem Rücken zur Düne stehen. Wichtigstes Utensil ist die Friteuse.

Wenn man sich mit dieser Vorkenntnis gewappnet zum Strandrestaurant „Aan Zee“ begibt, erwartet einen eine Über­raschung.

Die Insel Voorne liegt 45 Kilometer westlich von Rotterdam am Südufer der Maasmündung. Als vor einigen Jahren an der Westspitze der Insel ein Grundstück für den Bau eines Strandpavillons verfügbar wurde, griff der gebürtige Oostvoorner Jan van Marion zu. „Wir wollten kein normales Strandrestaurant eröffnen“, sagt er. „Also haben wir uns für Nachhaltigkeit entschieden“, sagt er mit dem typisch niederländischen geschäftstüchtigen Lächeln. So entstand ein Bau in Gestalt eines hölzernen Schneckenhauses, das sich aus den sanddornbewachsenen Dünen im Naturschutzgebiet Slikken van Voorne windet. Mindestens ebenso ungewöhnlich wie die Form des Gebäudes ist jedoch der Ort, an dem es steht. Anstelle eines kilometerlangen Nordseestrands mit leerem Horizont gibt es hier ein Naturschutzgebiet vor Schwerindustriekulisse. Diesseits des Wassers einsame Dünenlandschaft, jenseits des Wasses gigantische Kräne, Tanks und Containerfrachter – denn dort befinden sich die Hafenanlagen der Maasvlakte, der jüngsten Erweiterung des Hafens von Rotterdam.

Wie so oft in Holland erweist sich bei genauerem Hinsehen sogar das Naturidyll als menschengemacht, denn das Gebiet der Slikken van Voorne ist erst durch die Anlage der Hafenerweiterung Maasvlakte in den 1960er-Jahren entstanden. Als das künstliche Hafengebiet in der Maasmündung geschaffen wurde, veränderte sich die Gezeitenwirkung, und so entstanden am Südufer Dünen, Sandbänke und Priele, die es dort zuvor nie gegeben hatte. 2013 wurde die zweite Maasvlakte eröffnet, die den Hafen noch weiter in die Nordsee trieb. „Klar, die Aussicht ist eher ungewöhnlich für ein Strandrestaurant“, gibt van Marion zu. „Aber sie hat auch ihre Vorteile: In anderen Strandpavillons schaut man nach Sonnenuntergang ins schwarze Nichts. Bei uns eröffnet sich ein industrielles Lichtpanorama.“

Von außen kann man das Dach des Restaurants besteigen und findet sich auf dem Aussichtsturm wieder, von wo aus man die Windturbinen und Sonnenkollektoren sieht, die „Aan Zee“ mit Energie versorgen, sowie das Heliophytenfeld, das als natürliche Kläranlage dient. Größtes Zugeständnis an die Nachhaltigkeit dürfte aber sein, dass es in der Küche von „Aan Zee“ keine Friteuse gibt. Die beiden Chefköche kochen auf einem riesigen, aus Österreich importierten Holzofen und grillen über Eichenholz. „Schnelle Snacks gibt es bei uns nicht“, sagt van Marion.

Stattdessen machen sich Sminia und Zwaartman jeden zweiten Tag in den Dünen auf die Suche nach Wildgemüse und Kräutern. Das alles wird kombiniert mit Produkten aus der Umgebung: Wurst aus Rockanje, Ziegen­käse aus Ouddorp, Schinken vom Livarschwein oder Graupen aus Alkmaar. Hausgeräucherten Lachs gibt es auch: Der hängt in einer Luke im Aussichtsturm, direkt über dem Kamin.

Muss er nicht häufig Gäste enttäuschen, die in einem Strandrestaurant die üblichen Fleischkroketten und Pommes frites erwarten? „Das hält sich in Grenzen“, sagt van Marion. „An diesen Ort zieht es keine Menschenmassen, sondern eher Kenner.“ Das Hafenpanorama hat also eigentlich nur Vorteile.

Knurrhahn mit Krabbensauce  und Graupen

Zutaten (für vier Personen)  

1 Knurrhahn, getrockneter Queller, 3 Zweige Mauerpfeffer, 50 g Graupen, 10 junge Brennnesselblätter, 1 Zwiebel, 3 dl Weißwein, 2 dl Fischbouillon, 2 Handvoll gemischte Wildkräuter, 500 g Krabbenschalen, 5 Bärlauchblätter, 1 l Wasser, 2 dl Sahne, 200 g Tomatenmark, 20 g Fenchelsamen.

Zubereitung

Den Knurrhahn mit Olivenöl bestreichen und bei hoher Hitze grillen, bis die Haut knusprig wird. Mit Queller und Mauerpfeffer bestreuen und 8 Minuten bei 200 Grad im Ofen garen. Für die Graupen: Die Hälfte der gehackten Zwiebel anbraten, Graupen und Brennnesseln dazugeben, mit 1 dl Wein ablöschen. Bouillon dazugeben und 15 Minuten köcheln  lassen. Für die Sauce: Die andere Hälfte der Zwiebel anbraten, Krabbenschalen, Fenchelsamen und Tomatenmark hinzufügen, mit dem restlichen Wein ablöschen. Wasser hineingeben und auf ein Viertel der Menge reduzieren, dann durch ein Sieb seihen. Sahne einrühren und einkochen lassen. Mit geschnittenem Bärlauch und Kräutern bestreuen.

Aan Zee

Strandweg 1, Oostvoorne, Niederlande; Telefon +31 181 820 990. Geöffnet Mi bis So von 10 bis 22 Uhr.

mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Anneke Bokern und Jan Luijk

Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit 2000 als freie Journalistin in Amsterdam, wo sie die Meernähe lieben, Buttermilch zum Mittagessen tolerieren und niederländisches Design zu schätzen gelernt hat. Sie schreibt für deutsche und internationale Medien über Architektur, Design und Kunst - nicht nur, aber oft aus den Niederlanden.

Jan Luijk, Fotograf, lebt und arbeitet in Rotterdam.

Mehr Informationen
Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit 2000 als freie Journalistin in Amsterdam, wo sie die Meernähe lieben, Buttermilch zum Mittagessen tolerieren und niederländisches Design zu schätzen gelernt hat. Sie schreibt für deutsche und internationale Medien über Architektur, Design und Kunst - nicht nur, aber oft aus den Niederlanden.

Jan Luijk, Fotograf, lebt und arbeitet in Rotterdam.
Person Von Anneke Bokern und Jan Luijk
Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt seit 2000 als freie Journalistin in Amsterdam, wo sie die Meernähe lieben, Buttermilch zum Mittagessen tolerieren und niederländisches Design zu schätzen gelernt hat. Sie schreibt für deutsche und internationale Medien über Architektur, Design und Kunst - nicht nur, aber oft aus den Niederlanden.

Jan Luijk, Fotograf, lebt und arbeitet in Rotterdam.
Person Von Anneke Bokern und Jan Luijk