Islands Seefrauen

Über Jahrhunderte waren Islands Frauen gleichberechtigte Meeresfischerinnen. Doch explodierender Kinderreichtum, die industrielle Revolution und moderne Fangflotten drängten sie zurück an Land

Sie war eine von vielen, aber Þurídur Einarsdóttir ist auf Island bis heute unvergessen. Sechs Jahrzehnte lang fuhr sie zum Fischen aufs Meer, sie machte die größten Fänge, dirigierte die meiste Zeit ein Ruderboot, legte für ihre Crew die Routen und Fanggründe fest. „Sie ist als Mann gekleidet, verrichtet die schwersten und beschwerlichsten Botengänge, rudert ein Boot so kräftig und sicher wie der gewandteste Fischer“, heißt es in einem Bericht aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nicht ein einziges Besatzungsmitglied verlor sie ans Meer. Jahrhundertelang fuhren unzählige Isländerinnen zum Fischen aufs Meer. Mancherorts, etwa im Fjord Breiðafjörður, war im 18. Jahrhundert jeder dritte Seemann weiblich. Etliche Crews bestanden sogar nur aus Frauen. Von vielen Hunderten weiblichen Seeleuten, die sich Saison für Saison aufs Meer wagten, geht die Anthropologin Margaret Willson aus, weshalb sie auch von „Seefrauen“ spricht. Obwohl es schon lange isländische Meeresfischerinnen gegeben haben dürfte, begann ihre große Zeit erst mit einer Katastrophe: 1707/08 starben mehr als 10 000 Isländer an Pocken, jeder vierte Mensch auf der Insel. Damit fehlte es auf den kleinen offenen Ruderbooten an Besatzung. Fortan fuhren deshalb auch Frauen mit zum Fischen aufs Meer, und einem Gesetz von 1720 zufolge erhielten sie fürs Rudern genauso viel Lohn wie die Männer.

Die Arbeit auf dem Meer machte die Seefrauen stark und selbstbewusst, wie Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert verraten. Von Ísafold Runólfsdóttir heißt es, sie habe ihr Ruderboot allein an Land gezogen, zwei Zentnersäcke zugleich geschleppt und einmal einen Mann in den Schwitzkasten genommen. Sehr geschickt ging Rósamunda Sigmundsdóttir beim Jagen vor: Sie trug rote Kleidung, um junge Robben anzulocken und sie dann eigenhändig zu erlegen. Auf dem Meer war sie so trickreich, dass man sich erzählte, ihr schwömmen die Fische unter den Rock. Und von Helga Sigurdardóttir wird berichtet, sie sei barfuß über Vulkanberge gelaufen und habe neben der Fischerei einen Bauernhof geführt. Gemeinsam war den Seefrauen, dass sie in der Regel keine Kinder hatten. Es gab also keinen Grund, an Land zu bleiben. 
Als im 19. Jahrhundert der Handel aufblühte, behaupteten sich die Fischerinnen noch eine Weile. Allein von 1816 bis 1840 vervierfachten sich die Exporte von getrocknetem Kabeljau. Mit dem Aufschwung veränderte sich die Fischerei, die Ruderboote wurden größer, erhielten Segel, ein festes Deck und Laderäume für Fänge, Ausrüstung und Lebensmittel. Die Crews wagten sich weiter als je zuvor aufs Nordmeer hinaus, blieben länger fort und kehrten mit größeren Fängen heim. 

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mare No. 168

mare No. 168Februar / März 2025

Von Dirk Liesemer

Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, wunderte sich, wie die Geschichte der isländischen „Seefrauen“ nur vergessen werden konnte – „höchste Zeit, sie neu zu entdecken“. Für seine Recherchen skypte er mit der Anthropologin Margaret Willson, von der auch das Buch „Seawomen of Iceland“ stammt.

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Vita Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, wunderte sich, wie die Geschichte der isländischen „Seefrauen“ nur vergessen werden konnte – „höchste Zeit, sie neu zu entdecken“. Für seine Recherchen skypte er mit der Anthropologin Margaret Willson, von der auch das Buch „Seawomen of Iceland“ stammt.
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