Inseln ohne Ufer

Eine Insel entdecken – das war für Kapitäne ruhmreich und lukrativ zudem. So wurde manches Eiland schlicht erfunden

Kapitän Benjamin Morrell, den ein Maler im Jahr 1832 als berühmten Entdecker porträtierte, verkörperte das Musterbild eines Ehrenmanns. Reeder ließen Unsummen springen, um seine Expeditionen zu finanzieren, sein Buch über seine abenteuerlichen Fahrten begeisterte Amerika.

Unerheblich, dass sich seine Reisen als finanzielle Desaster erwiesen – für seine Leser war dieser Morrell ein Teufelskerl vom Rang berühmter Seehelden wie Weddell, Vancouver oder Cook. Seine Karriere endete tragisch: Nachdem er den Pazifik noch einige Jahre als Freibeuter unsicher gemacht hatte, ging er in Mosambik am Gelbfieber zu Grunde.

Ein trauriger Schlusspunkt, mit dem man die Chronik des Kapitäns Morrell zu den Akten legen könnte – wenn sein Erbe nicht die Jahrhunderte überdauert hätte. Zu den schillerndsten Schätzen, die er der Nachwelt bescherte, gehören eine Reihe von Inseln, deren Entdeckung er beanspruchte. Darunter zwei kleine Schmuckstücke, die alles zu bieten schienen, was Sponsoren auf die Sprünge helfen würde.

Nach Morrells Angaben lagen sie inmitten fischreicher Gründe auf halber Höhe zwischen Kalifornien und Japan, nordwestlich des Hawaii-Archipels. Sie beherbergten auf guanobedeckten Felsen Massen von Vögeln, See-Elefanten und Riesenschildkröten, lieferten Trinkwasser aus klaren Quellen und besaßen sichere Ankergründe innerhalb der sie umgebenden Korallenriffe. Die eine Insel taufte Morrell auf seinen Namen, die andere nach seinem Schiffseigner Byers, in der Hoffnung, weitere Reiseaufträge einzuheimsen.

All das hatte nur einen Fehler: Es waren Phantominseln. Schon damals keimte der Verdacht, dass es zu Morrells Praktiken gehörte, jene in die Welt zu setzen, um Auftraggeber zu ködern. Er verfestigte sich allerdings erst zur Gewissheit, nachdem Historiker 1965 die Logbücher eines John Keeler unter die Lupe nahmen, der Morrell im Auftrag des misstrauischen Schiffseigners begleitet hatte. Der Vergleich zwischen Keelers und Morrells Aufzeichnungen ergab: Der Kapitän hatte ein Netz aus Seemannsgarn über die Südsee gelegt, darin verwoben die Inseln Morrell und Byers sowie Entdeckungen einiger Vorbilder und Konkurrenten. Um zu verhindern, dass man ihm auf die Schliche kam, schreckte er nicht einmal davor zurück, Seiten aus den Logbüchern zu reißen.

Als „größter Lügner des Pazifiks“ und „Münchhausen der Südsee“ ging er in die Geschichte der Seefahrt ein. Dennoch besaß er zweifelsohne die Eigenschaften jedes wirklich großen Entdeckers: Mut, Fantasie und Überzeugungskraft. Dazu eine Art, die Dinge zu sehen, wie sein sollten – und nicht, wie sie waren. Morrell wollte einfach nicht wahrhaben, dass seine Vorbilder bereits alle Kontinente und die Welt dazwischen entdeckt hatten.

Aber eben nur im Großen und Ganzen. Zwischen den Küsten erstreckten sich unfassbare und unerfasste Wasserweiten, besät von Myriaden insularer, noch nie oder falsch lokalisierter Gestade: oft nur umschäumte Riffe, Felsnadeln oder nebelverhangene Sandbänke; dann wieder verspiegelte Hexereien, die als Fata Morgana am Horizont auftauchten und spurlos verschwanden. Nur wenn man Glück hatte, waren es reale Paradiese, in denen gottlose Wilde in schamloser Unschuld hausten, nackt und goldbehangen.

Knabenträume zwischen Wahn und Wirklichkeit, die es auszumünzen galt, selbst auf die Gefahr hin, dass man sich irrte und eine bereits entdeckte Insel für sich in Anspruch nahm. Oder dass man gar einem Phantom hinterherjagte. Denn das verrieten die Logbücher und Memoiren der großen Entdecker: Viele ihrer Erfolge beruhten auf Irrtümern. War nicht schon Kolumbus unter irrigen Voraussetzungen ans Ziel gekommen, weil er Marco Polo und zeitgenössischen Geographen vertraute, die den Erdumfang – und damit eine Atlantikquerung – um ein Drittel zu kurz einschätzten? Hätte er den Absprung gewagt, wenn er nicht als Zwischenstation auf die sagenhafte Insel Antillia gebaut hätte, deren Position er in erreichbarer Nähe westlich der Kanarischen Inseln und der Azoren vermutete?

Die Legende, auf die Kolumbus baute, wurzelt im siebten Jahrhundert, als Mauren die Iberische Halbinsel eroberten und viele Christen vertrieben, unter ihnen sieben Bischöfe. Die Klerikalen schifften sich angeblich mit Männern und Frauen, Vieh und Waren von Porto aus ein und landeten schließlich, „vom Himmel geleitet“, in Antillia, wo sie sieben Städte gründeten, eine für jeden Bischof. Bis Ende des 16. Jahrhunderts beanspruchte die Insel einen prominenten Platz auf den Seekarten: ein rechteckiges Gebilde, fast so groß wie Portugal, das eigentlich kaum zu verfehlen war – und trotz zahlreicher Expeditionen nie gefunden wurde.


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mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Erdmann Wingert

Erdmann Wingert, Jahrgang 1936, ist Mitglied der Weinstädter Agentur Zeitenspiegel. Ihn überraschte die Vielzahl der angeblichen Inseln – offenbar existiert Atlantis gleich tausendfach.

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Vita Erdmann Wingert, Jahrgang 1936, ist Mitglied der Weinstädter Agentur Zeitenspiegel. Ihn überraschte die Vielzahl der angeblichen Inseln – offenbar existiert Atlantis gleich tausendfach.
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