Im Sturm seines eigenen Lebens

Errol Flynn war ein Freibeuter, im Film wie im richtigen Leben. Wenn er an Land Schiffbruch erlitt, floh er mit seiner Yacht aufs Meer

Errol Flynn kann nicht mehr. Tagelang sitzt der Star allein zu Hause, in der Hand eine Pistole, und überlegt, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Flynn, mit 36 Jahren im besten Mannesalter, ist am Ende.

Hollywood, im Herbst 1945. Flynn ist an Malaria und Tbc erkrankt, trotzdem trinkt er noch mehr als gewöhnlich. Schulden hat er schon länger. Auch damit, dass seine zweite Ehe vor dem Scheitern steht, kann er leben. Zu schaffen macht Flynn, dass seine Karriere im Niedergang ist und er immer gleiche Rollen spielen muss – neben Liebhabern und Piraten nun auch noch Westernhelden, eine ihm verhasste Rolle. „Keiner außer mir wusste, wie ausgebrannt ich mich fühlte. Ich bewegte mich ohne Antrieb durch meine Filme“, schreibt er in seiner Autobiografie „My wicked, wicked ways“. „Ich fühlte mich vom Studio missbraucht. Dazu benutzt, Geld zu machen. Von der Presse benutzt zur Unterhaltung. Und von der Gesellschaft dazu, etwas Farbe in ihr langweiliges Leben zu bringen.“

Am dritten verzweifelten Abend in der Villa Mulholland trifft er eine Entscheidung. „Statt mich umzubringen, kaufte ich mir ein neues Boot.“ Keine neue Flasche Wodka, kein weiteres junges Ding von der nahen Highschool – ein Segelschiff muss her, um seinem Leben eine Wendung zu geben, bevor es zu spät ist.

Flynns innige Liebe zum Meer legen ihm seine australischen Eltern in die Wiege. Sein Vater Theodore ist Meeresbiologe, Errols Mutter Marelle Young stammt aus einer Seefahrerfamilie. Auf ihrer Hochzeitsreise an Bord eines Schiffes merken die Frischvermählten, dass Marelle schwanger ist. Im nächsten Hafen gehen sie an Land und lassen sich nieder. So kommt es, dass Errol in Hobart, der Hauptstadt Tasmaniens, geboren wird.

Im Film ist Flynns erste Paraderolle die des Seebären – mit freiem Oberkörper und gereckter Brust am Steuer eines Schiffes, den Blick so melancholisch wie entschlossen nach vorn gerichtet. Und Flynns Lebensstil erinnert am ehesten an einen Freibeuter. Während er keiner Frau treu bleiben kann, lässt ihn das Meer nie mehr los. „Die See ist meine einzige wahre Liebe“, sagt er später einmal.

Nachdem sich Flynn in Neuguinea mit dubiosen Geschäften über Wasser gehalten hatte, kauft er sich als 21-Jähriger in Sydney sein erstes Boot, die „Sirocco“, ein 44-Fuß-Kutter. Das Geld dafür stammte aus dem Verkauf einer kleinen Goldmine.
Fotos, die an Bord der „Sirocco“ entstanden, ist es zu verdanken, dass Flynn zum Film kommt. Ein australischer Produzent ist so begeistert von den Aufnahmen, dass er ihn 1933 als Hauptdarsteller für einen Klassiker engagiert – für die Verfilmung der „Meuterei auf der Bounty“.

Gedreht wird die australische Billigproduktion auf Tahiti, dort, wo Captain Bligh mit der „Bounty“ einst vor Anker lag. Für eine Gage von 50 Pfund mimt Flynn den Anführer Fletcher Christian. Es passt zum mythischen Leben Flynns, dass er ausgerechnet in dieser Rolle debütiert. Denn nach einer Familienlegende soll einer seiner Vorfahren zu den Meuterern gehört haben. Genealogen haben bisher keinen Hinweis finden können, der das bestätigt. Sicher ist nur, dass Flynn gleich seine erste Chance nutzt. Zwei Jahre nach dem Bounty-Film gelingt ihm 1935 als Pirat in „Captain Blood“ der Durchbruch in Hollywood.

Zwölf Jahre und zwei Dutzend Filme später verfällt Flynn in die bisher tiefste Depression seines Lebens. „Ich war ganz oben angelangt. Ich war wohlhabend und international bekannt. Ich wurde von Frauen begehrt und hätte mir alles zulegen können, was man sich mit Geld kaufen kann. Doch ich merkte, dass hier oben nichts war. Ich saß allein oben auf der Bergspitze, und unter mir war nichts als unendliche Leere.“

Flynn fühlt sich verfolgt von den in seinen Augen heuchlerischen Moralaposteln Hollywoods. Zwei Mal war er der Vergewaltigung minderjähriger Mädchen angeklagt worden. Im zweiten Fall soll der Tatort die „Sirocco“ gewesen sein. Flynns Kommentar: „Wenn man eine junge Lady trifft, die sich – in Wahrheit – selbst zu einem Ausflug auf der eigenen Yacht eingeladen hat: Wer, verdammt noch mal, fragt da nach der Geburtsurkunde, vor allem, wenn sie gebaut ist wie Venus?“ Er wird freigesprochen, doch noch Jahre später schreibt er: „Ich litt und war im Innersten schwer verwundet. Die Vergewaltigungsklagen hatten eine tiefe Narbe hinterlassen, und ich wusste, dass ich von nun an alles in meinem Leben auf vor und nach den Prozessen datieren würde.“

Als auch noch sein Stern im Filmgeschäft zu sinken beginnt, sieht er als Ausweg nur, in die Weiten der Ozeane zu entfliehen. Das Schiff, das er trotz Geldnöten dafür aussucht, ist extravagant: die 120 Fuß lange „Zaca“, ein prächtiges Segelboot. „Lass sie ein Symbol dafür sein, wofür mein Name steht“, ruft er aus. „Ich werde einen krähenden Hahn als Fahne aufziehen und über die Welt triumphieren.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 59. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Ole Schulz

Der Historiker Ole Schulz, Jahrgang 1968, lebt als freier Autor in Berlin. Er träumt davon, im Segelboot von Port Antonio nach Santiago de Cuba zu fahren. Sein letzter Versuch scheiterte am schlechten Wetter.

Mehr Informationen
Vita Der Historiker Ole Schulz, Jahrgang 1968, lebt als freier Autor in Berlin. Er träumt davon, im Segelboot von Port Antonio nach Santiago de Cuba zu fahren. Sein letzter Versuch scheiterte am schlechten Wetter.
Person Von Ole Schulz
Vita Der Historiker Ole Schulz, Jahrgang 1968, lebt als freier Autor in Berlin. Er träumt davon, im Segelboot von Port Antonio nach Santiago de Cuba zu fahren. Sein letzter Versuch scheiterte am schlechten Wetter.
Person Von Ole Schulz