Im Rhythmus der Stille

François de Roubaix war ein Mann mit zwei Leidenschaften: Tauchen und Komponieren. Eine wurde ihm zum Verhängnis

Hört man genau hin, DAnn Hört man auch hier das Rauschen des Ozeans. Der Camposanto von Los Cristianos befindet sich im Bezirk Arona im Süden Teneriffas. Auf der rechten Seite, gleich hinter den orangefarbenen Eingangssäulen, führen 18 Stufen hinauf zur Galerie. Der stille Weg führt entlang dreier Reihen quadratischer, in die Wand eingelassener Grabnischen. Nach etwa 40 Schritten ist man angekommen. Hinter einer Vase mit Gerbera befindet sich eine marmorne Grabplatte mit einem eingemeißelten Kreuz und einem nackten Namen. Hier ruht der wohl vielseitigste „europäische“ Filmkomponist der 1960er und 1970er Jahre.

François de Roubaix kommt 1939 in Paris zur Welt, „mit den Händen eines Musikers“, wie die Hebamme bereits Minuten nach der Geburt feststellt. Sein Vater, der Dokumentarfilmer Paul de Roubaix, fördert die Begabung des Jungen, wo er nur kann. Seine Mutter, die Harpunierweltmeisterin Mimma Indelli, weckt in ihm die Leidenschaft für das Meer, als sie bei Saint-Raphaël an der Côte d’Azur mit ihm tauchen geht.

Auch als Erwachsenen wird de Roubaix die andere Welt unter der Wasseroberfläche nie mehr loslassen. Er liebt die Ruhe und die Schwerelosigkeit, die anmutigen Bewegungen der Riesenbarsche, die sich von ihm streicheln lassen; viele seiner späteren Kompositionen werden Titel wie „Requiem für einen Meeraal“ oder „Krakenwalzer“ tragen. Und während er sich im Rhythmus der Stille treiben lässt, kommt ihm manchmal in den Sinn, was Brahms bei einem Strandspaziergang zu einem Freund sagte, der sich beschwerte, alle große Musik sei schon geschrieben worden. Brahms hatte aufs Meer hinausgewiesen und erwidert: „Hör einfach zu. Da kommt die nächste Welle.“

1960 lernt de Roubaix über seinen Vater den Regisseur Robert Enrico kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Enrico ist fasziniert von dem jungen Musiker mit dem schulterlangen blonden Haar: Nun 21 Jahre alt, spielt de Roubaix Gitarre, Klavier, Klarinette, Posaune, Trompete, Querflöte und Kontrabass. Zunächst realisieren sie ein paar Kurzfilm- und Fernsehprojekte; doch beiden ist klar, dass sie den richtigen Stoff benötigen, um die ganz große Leinwand erobern zu können.

Dieser Stoff wird Enrico im Frühsommer 1966 angeboten. Autor des Drehbuchs ist der 43-jährige José Giovanni, ein ehemaliger Résistancekämpfer und Unterweltkenner, der nach dem Krieg wegen eines Raubüberfalls zunächst zum Tod durch die Guillotine verurteilt war und dann zehn Jahre im Zuchthaus abgesessen hat. Der gebürtige Korse, der sich im Knast auto-didaktisch das Schreiben beigebracht hat, ist die perfekte Ergänzung zu Enrico und de Roubaix. Seine Romane handeln von archaischen Männlichkeitsritualen, Individualisten und Außenseitern, die bei aller Rauheit stets eine melancholische Aura umgibt.

Der Film, den die drei Geistesverwandten schaffen, heißt „Les Aventuriers“. Lino Ventura und Alain Delon, die größten französischen Stars ihrer Zeit, spielen die Hauptrollen, den weiblichen Part gibt die aparte Frankokanadierin Joanna Shimkus, die bald darauf dem schwarzen Hollywood-Star Sidney Poitier das Jawort gibt und sich für immer aus dem Filmgeschäft zurückzieht. „Die Abenteurer“, so der deutsche Titel, kommt im Gewand eines Thrillers mit reichlich maskuliner Coolness, Maschinenpistolen und Handgranaten daher, aber in Wirklichkeit ist es eine Geschichte über die reine Liebe zu dritt. Die wichtigen Szenen spielen natürlich auf dem Meer.

Es geht um zwei Männer, Manu und Roland, die ihr Leben mit derselben Frau verbringen wollen, Letitia. „Weißt du“, verrät sie dem Piloten Manu im Lauf des Filmes, „das Meer war meine erste Liebe.“ Es wird auch ihre letzte, als sie bei einer Schatzsuche vor Afrikas Küste ums Leben kommt. Die Szene, in der die beiden Männer den Leichnam ihrer Geliebten, eingehüllt in einen Taucheranzug, hinab in die dunkelblaue Tiefe begleiten, wird untermalt von de Roubaix’ großartiger Elegie „Enterrement sous-marin“, ein Unterwasserballett, in dem Schwebezustand und Schwanengesang unnachahmlich miteinander verschmelzen.


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mare No. 88

No. 88Oktober / November 2011

Von Sky Nonhoff

Sky Nonhoff, Jahrgang 1962, lebt als Musikjournalist und Buchautor in München. Er ist Mitbetreiber einer Website zu französischer Musik, auf der auch Beiträge über François de Roubaix zu finden sind: www.fillessourires.com.

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Vita Sky Nonhoff, Jahrgang 1962, lebt als Musikjournalist und Buchautor in München. Er ist Mitbetreiber einer Website zu französischer Musik, auf der auch Beiträge über François de Roubaix zu finden sind: www.fillessourires.com.
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Vita Sky Nonhoff, Jahrgang 1962, lebt als Musikjournalist und Buchautor in München. Er ist Mitbetreiber einer Website zu französischer Musik, auf der auch Beiträge über François de Roubaix zu finden sind: www.fillessourires.com.
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