Essen wie im Luxuskreuzer

Im Fischerhafen Restaurant in Hamburg riecht es nicht nach Fisch, sondern nach Chanel No. 5 und Egoïste

Zur Terrine von Edelfischen gibt es außer Remoulade graue Regenwolken und ein Containerschiff, an dessen Heck zwei Schlepper zerren. Die gratinierten Austern werden begleitet von einem tintenblauen Himmel, dazu schreit ein aufgeregtes Dutzend Möwen. Und als die Tagliatelle mit Hummermedaillons und Steinpilzen kommen, liegt schwarze Nacht überm Hafen; Bordlichter ziehen vorbei, die Lampen der Köhlbrandbrücke hängen wie Weihnachtsschmuck im Dunkel.

Ganz schön was los da draußen. Langeweile kommt nicht auf beim Tafeln im Hamburger Fischereihafen Restaurant. Tanker, Dampfer oder Fähren schieben sich direkt vorm Haus durchs Wasser, man schaut auf Silos und Lastzüge, Kräne und gestapelte Container. Und wer Glück hat, dem bläst der Wind ständig neues Wetter ins Panorama.

Ist das der Grund, weshalb dieses Lokal kaum leere Stühle kennt? Das auch. Aber noch wichtiger ist wohl, dass hier viele Gesichter sitzen, die man aus dem Fernsehen kennt. Deutschlands berühmteste Fischküche ist ein Treff des Showbusiness. Zum Beweis hängen an der Garderobe Fotos hinter Glas: „Ach, guck mal, der war auch schon hier!“ Etwas verblichene Bilder aus einer Zeit, als die Herren lange Koteletten trugen.

Längst ist auch der Wirt ein Prominenter. Rüdiger Kowalke hat sein gedrucktes Leben in Ordnern abgelegt. Als er vergangenen Dezember Geburtstag feierte, überreichte ihm der Bild-Chef eine Zeitung mit der Schlagzeile: „Kowalke 49“. Jürgen Drews und Tony Marschall sangen dazu.

Es ist den Gazetten inzwischen eine Meldung wert, wenn Herr Kowalke ein neues Auto kauft („Jaguar XK8-Coupé“). Über sein aktuelles Handicap („25“) beim Golfen wird ebenso berichtet wie über seine Empfehlung zur Bundestagswahl („CDU“). Und kaum ist er von einer Stippvisite in Thailand an die Elbe zurückgekehrt, ist in einem Lokalblatt zu lesen: „Fischpapst: Neue Ideen aus Bangkok“.

Ein Fischpapst also ist aus dem jungen Mann aus Lübeck geworden, der im Schwarzwald und in der Schweiz das Kochen lernte. Vor 17 Jahren dann schrieb die Stadt Hamburg ein heruntergewirtschaftetes Lokal an der Großen Elbstraße zur Pacht aus, unter mehr als hundert Bewerbern bekam Kowalke den Zuschlag. Ob er damals schon ahnte, welch dicker Brocken da an seiner Angel hing? „Ja“, sagt Kowalke ohne Zögern.

Nun hat er es zum Tempel der hanseatischen Society gemacht. Man nascht nicht nur am Seezungenröllchen, man wird auch gesehen. Rüdiger Kowalke empfängt die Gäste und fragt nach der Reservierung, ohne die nicht viel geht. Er trägt einen dunkelblauen Blazer, an dem Knöpfe gülden blinken. Das dunkle Haar ist von Silberfäden durchwirkt und exakt gescheitelt, unter den breiten Brauen blicken hellblaue Augen. Auf der roten Krawatte tummelt sich allerlei Meeresgetier. Die Rolex am Handgelenk sieht mit ihren Rädchen und Zeigern und Zahlen aus wie ein kompliziertes Navigationsgerät. Konziliant dirigiert Herr Kowalke neue Gäste zum Tisch. Eine Gruppe Japaner möchte mal eben bei ihrer Suppe von Krustentieren fotografiert werden, was der Chef prompt erledigt. Das Interieur des Restaurants, sagt er, sei „klassisch-maritim“.

Gleich am Eingang steht eine Glasvitrine mit einer Schiffsglocke und einem Oktanten aus dem 19. Jahrhundert; auch zwei Modelle von Segelschiffen zur Seefischerei sind darin ausgestellt. Auf der Bar ein blank polierter Taucherhelm der US-Navy, Bullaugen mit Spiegeln, Gemälde mit Seglern und schwerer See in Öl, unheilvoll düsterer Himmel. Überall dunkles Holz: an den Wänden statt Tapeten Mahagoni. Überall glänzt Messing.

Der Teppichboden ist rot marmoriert, die Tischlampen sind lachsfarben mit schwarzen Sockeln. Weiße Wolkenstores machen die Räume vollends zum Salon. Man sitzt hier mit dem Gefühl, endlich müsste dieser Luxuskreuzer doch mit lautem Dröhnen der Hörner losfahren. Und seltsam auch das: Es riecht, obschon an 180 Plätzen Dorsch und Matjes und Seeteufel gegabelt wird, nicht fischig – eher nach Chanel No. 5 und Egoïste.

Weil frischer Fisch nicht riecht, sagt Rüdiger Kowalke. Und weil kein Wirt den Fisch frischer kaufen kann als er. Direkt neben dem Gebäude aus rotem Klinker haben in langgestreckten Hallen Großhändler ihr Domizil und Schilder zeigen, was da in riesigen Mengen umgeschlagen wird: Lachsräucherei, Spezialität: Deutscher Kaviar, Hummer, Austern... Bis nachts um zehn können die Köche vom Restaurant im Handumdrehen frische Ware organisieren. Um diese Uhrzeit stehen draußen schon Damen in hohen Stiefeln und wenig Textil.

Drei bis fünf Tonnen Fisch pro Woche werden in Kowalkes Küche verarbeitet. Die Hälfte – Kopf, Schwanz, Haut – ist Abfall. Dazu 150 Hummer. Bis zu 40 Mark kostet das Kilo Fisch im Einkauf, das erklärt manchen Preis auf der Speisekarte. 20 Köche braten und filetieren, grillen und dünsten – am Wochenende für 400 Gäste täglich. Die Renner: Steinbutt gegrillt mit Pommerysenfsauce; geräuchertes Aalfilet auf gebratenem Schwarzbrot und Kräuterrührei – die Leibspeise von Franz Beckenbauer.

Das ist auch zu Hause leicht zu erledigen: Aal anwärmen (Mikrowelle oder in Folie und Ofen), Schwarzbrot ohne Rinde wie ein Schnitzel in der Pfanne braten, und ein Rührei, na ja... Beim Steinbutt, erklärt Chefkoch Wolf-Dieter Klunker an der zischenden Grillplatte, müsse mehr Sorgfalt walten. Optimal gegart, soll er „an der Gräte leicht glasig aussehen“. Fisch wird schnell trocken, und es sei der Hauptfehler, das eiweißreiche Fleisch zu lange zu erhitzen. Bei Filets etwa, da genügten schon zwei bis drei Minuten in der Pfanne auf jeder Seite.

Es ist den Klatschspalten zu verdanken, dass auch die Gaumenneigung anderer VIPs nicht geheim bleibt. Prinz Charles war da (Carpaccio vom Steinbutt) und Placido Domingo (Babylanguste auf Apfel-Sellerie-Bett), Shirley McLaine (Steinbutt gegrillt) und Helmut Kohl (Schellfisch mit Senfsoße). Nur „Der Feinschmecker“ wagt zu mäkeln, das Restaurant sei zu eng und zu teuer. Vielleicht hätten die Testesser häufiger aus dem Fenster schauen sollen. Das Auge isst ja mit. Und hier wird es wirklich satt.


Fischereihafen Restaurant
Große Elbstraße 143, 22767 Hamburg-Altona
Telefon: (040) 38 18 16.
Geöffnet täglich ab 11.30 Uhr, Reservierung nötig.

mare No. 3

No. 3August / September 1997

Von Norbert Thomma und Stefan Pielow

Norbert Thomma ist Diplom-Volkswirt und Diplom-Wirtschaftspädagoge. Er war Redakteur und Chefredakteur der taz, lange Zeit freier Journalist, SPORTS-Redakteur und einige Jahre beim Süddeutsche Zeitung Magazin. Heute ist Thomma leitender Redakteur des Tagesspiegel.

Stefan Pielow, geboren 1961, ist im Münsterland aufgewachsen und ging nach dem Abitur als freier Fotoassistent nach Hamburg. Nach dreijähriger Praxis studierte er an der Folkwangschule Essen Fotografie. Während des Studiums produzierte er seine ersten Reportagen für den Stern und das ZEITmagazin. Später spezialisierte er sich immer mehr auf das inszenierte Portrait. Als freier Mitarbeiter beim Stern fotografierte er zahlreiche Lifestylethemen sowie Prominente im In- und Ausland. Stefan Pielow arbeitet heute als freier Fotograf für internationale Magazine, Firmen und Agenturen. Seit 2002 lebt Stefan Pielow mit seiner Frau und zwei Töchtern in Starnberg. 
Für mare reiste Pielow seit Mitte der 90er Jahre an besonders exotische Orte, von den Bahamas bis zum Nordkap. 2011 erschien der mare-Bildband NEW YORK, für den Pielow Bewohner der Stadt am Meer portraitierte. 2016 produzierte er zusammen mit dem mareverlag das Buch: MEIN SCHIFF ENTSTEHT für die TUI Cruises GmbH.

Mehr Informationen
Vita Norbert Thomma ist Diplom-Volkswirt und Diplom-Wirtschaftspädagoge. Er war Redakteur und Chefredakteur der taz, lange Zeit freier Journalist, SPORTS-Redakteur und einige Jahre beim Süddeutsche Zeitung Magazin. Heute ist Thomma leitender Redakteur des Tagesspiegel.

Stefan Pielow, geboren 1961, ist im Münsterland aufgewachsen und ging nach dem Abitur als freier Fotoassistent nach Hamburg. Nach dreijähriger Praxis studierte er an der Folkwangschule Essen Fotografie. Während des Studiums produzierte er seine ersten Reportagen für den Stern und das ZEITmagazin. Später spezialisierte er sich immer mehr auf das inszenierte Portrait. Als freier Mitarbeiter beim Stern fotografierte er zahlreiche Lifestylethemen sowie Prominente im In- und Ausland. Stefan Pielow arbeitet heute als freier Fotograf für internationale Magazine, Firmen und Agenturen. Seit 2002 lebt Stefan Pielow mit seiner Frau und zwei Töchtern in Starnberg. 
Für mare reiste Pielow seit Mitte der 90er Jahre an besonders exotische Orte, von den Bahamas bis zum Nordkap. 2011 erschien der mare-Bildband NEW YORK, für den Pielow Bewohner der Stadt am Meer portraitierte. 2016 produzierte er zusammen mit dem mareverlag das Buch: MEIN SCHIFF ENTSTEHT für die TUI Cruises GmbH.
Person Von Norbert Thomma und Stefan Pielow
Vita Norbert Thomma ist Diplom-Volkswirt und Diplom-Wirtschaftspädagoge. Er war Redakteur und Chefredakteur der taz, lange Zeit freier Journalist, SPORTS-Redakteur und einige Jahre beim Süddeutsche Zeitung Magazin. Heute ist Thomma leitender Redakteur des Tagesspiegel.

Stefan Pielow, geboren 1961, ist im Münsterland aufgewachsen und ging nach dem Abitur als freier Fotoassistent nach Hamburg. Nach dreijähriger Praxis studierte er an der Folkwangschule Essen Fotografie. Während des Studiums produzierte er seine ersten Reportagen für den Stern und das ZEITmagazin. Später spezialisierte er sich immer mehr auf das inszenierte Portrait. Als freier Mitarbeiter beim Stern fotografierte er zahlreiche Lifestylethemen sowie Prominente im In- und Ausland. Stefan Pielow arbeitet heute als freier Fotograf für internationale Magazine, Firmen und Agenturen. Seit 2002 lebt Stefan Pielow mit seiner Frau und zwei Töchtern in Starnberg. 
Für mare reiste Pielow seit Mitte der 90er Jahre an besonders exotische Orte, von den Bahamas bis zum Nordkap. 2011 erschien der mare-Bildband NEW YORK, für den Pielow Bewohner der Stadt am Meer portraitierte. 2016 produzierte er zusammen mit dem mareverlag das Buch: MEIN SCHIFF ENTSTEHT für die TUI Cruises GmbH.
Person Von Norbert Thomma und Stefan Pielow