Es geht um Kopf und Curry

Ein Häuflein Felsen, zusammen kaum ein Fünftel der Größe Helgolands, sind Ursache eines Streites zwischen Südkorea und Japan

Während der Olympischen Sommerspiele 2012 erfuhr die Weltgemeinschaft zum ersten Mal von dem Streit. Im Fußballspiel um Platz drei hatte soeben Südkorea gegen Japan gewonnen. Nun rannte ein siegestrunkener südkoreanischer Spieler mit einem Schild in der Hand auf die Kameras zu. Darauf stand „Dokdo ist unser Territorium“. Seine Fans jubelten, aber die Japaner buhten lautstark.

Ungefähr zur gleichen Zeit flog der südkoreanische Staatspräsident Lee Myung-bak mit einem Hubschrauber voller Journalisten zu eben jenem Territorium: eine karge, winzige, abgelegene Doppelinsel im Japanischen Meer. Von einem Plateau aus schaute Lee auf den Ozean hinaus, lächelte in die Kameras, sagte ein paar Worte und inszenierte sich als Verteidiger seines Landes. 80 Prozent seiner Landsleute fanden den Auftritt des ansonsten als korrupt geltenden Politikers gelungen.

In Japan aber waren die Menschen erbost. Und wenig später gab das japanische Bildungsministerium einen neuen Leitfaden für seine Lehrer heraus. Sie sollten fortan im Schulunterricht darauf hinweisen, dass Takeshima – wie das Territorium in Japan genannt wird – eindeutig in Tokios Machtbereich falle. 2014 wurden dann auch noch die Schulbücher umgeschrieben.

Daraufhin berief die südkoreanische Regierung ihren Gesandten aus Tokio ab. In den U-Bahnen wurde Werbung für Kondome aus dem Nachbarland entfernt. Vor der japanischen Botschaft sammelten sich zornige Bürger, hielten Plakate hoch und legten auch die noch blutigen Köpfe von Fasanen ab, die in Japan als Nationalvögel gelten.

Seit Jahrzehnten streiten die beiden Länder um die Doppelinsel, die ziemlich genau zwischen ihnen liegt: 211 Kilometer von Japan und 216 Kilometer von Südkorea entfernt. Sie besteht aus zwei vulkanischen Hauptfelsen, die an der höchsten Stelle 157 Meter aus dem Meer ragen und von 33 Inselchen umgeben sind. Insgesamt machen die Felsen eine Fläche von 0,21 Quadratkilometern aus, womit sie fünfmal kleiner als Helgoland sind. Neutrale Beobachter bezeichnen die Doppelinsel als Liancourtfelsen. Unter diesem Namen wurden sie Mitte des 19. Jahrhunderts von französischen Walfängern in die Seekarten eingetragen.

Mittlerweile stellt der Streit die größte Hürde für die Beziehung beider Staaten dar. Für Südkoreaner rangiert er laut Um- fragen an erster Stelle – noch weit vor Entschädigungszahlungen für südkoreanische „Trostfrauen“, jene Mädchen, die im Zweiten Weltkrieg von japanischen Truppen entführt und missbraucht wurden. Um die Ansprüche auf die Insel durchzusetzen, geben beide Länder jährlich Millionen Euro für Kampagnen aus. Dabei geht es ihnen weniger um Fischereirechte und mögliche Gasvorkommen am Meeresgrund, sondern vor allem um ihre nationale Selbstvergewisserung.

Der Streit begann am 22. Februar 1905. An jenem Tag okkupierten japanische Truppen die Liancourtfelsen. Tokio behauptete, herrenloses, unbesiedeltes Land in Besitz genommen zu haben. Fünf Jahre später überfiel das Kaiserreich die Koreanische Halbinsel, die es bis zu seiner Niederlage 1945 besetzte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg regelten die USA die Grenzen in Südostasien. 1951 unterschrieb Japan den Friedensvertrag von San Francisco und erkannte damit die Unabhängigkeit Koreas an. Zwar war von den Liancourtfelsen nicht explizit die Rede, doch den Friedensvertrag interpretierten Japan und Südkorea fortan in ihrem jeweiligen Sinn. 


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mare No. 122

No. 122Juni / Juli 2017

Von Dirk Liesemer

Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, hat auch nach der Recherche nicht begriffen, wie sich Menschen so sehr in nationalistische Gefühle hineinsteigern können – wegen ein paar Felsen im Meer.

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Vita Autor Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, hat auch nach der Recherche nicht begriffen, wie sich Menschen so sehr in nationalistische Gefühle hineinsteigern können – wegen ein paar Felsen im Meer.
Person Von Dirk Liesemer
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