Eine Reise auf dem Urmeer

Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge, keine Atmosphäre – der junge Planet Erde ist ein gefährlicher Ort. Nur die Meere bieten Schutz. So werden die Ozeane zur Geburtsstätte des Lebens und zum Versuchslabor der Evolution

Vor dem Blau war das Rot. Ein leuchtendes Rot, vielleicht ein Hellrot. Denn der erste Ozean auf Erden bestand nicht aus Wasser, sondern aus Magma, flüssigen Gesteinsmassen, die den neugeborenen Planeten in einen Glutball verwandelten. Die junge Erde hatte sich gerade erst gebildet, in einem höllischen Spektakel vor rund 4,6 Milliarden Jahren, bei dem Felsbrocken, groß wie Asteroide, von ihrer Schwerkraft getrieben, aufeinander knallten. Hitze entstand, die den jungen Planeten zum Kochen brachte. Wasser, das möglicherweise im Gestein eingeschlossen war, verdampfte und hüllte den Planeten in einen dichten Nebel. Erst allmählich kühlte die Oberfläche der Erde ab, Regen setzte ein, und siedend heißes Wasser ergoss sich über den Planeten. Ein Urmeer, ein blaues. Vielleicht.

Falls ja, wird davon nicht viel übrig sein. In den ersten 500 Millionen Jahren nach der Geburt der Erde donnerten immer wieder Himmelskörper auf den Planeten, schmolzen die Hülle auf, rissen Wasser mit sich fort. Das kosmische Bombardement hatte nicht nur Schattenseiten. Manche Geschosse brachten auch Wasser mit. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass ein Teil des Wassers unserer Ozeane mit eishaltigen Kometen auf die Erde gelangte. Aus dem Schlund irdischer Vulkane sind die 1,3 Milliarden Kubikkilometer nassen Lebensraums wohl nicht allein gedampft.

Vor einigen Jahren fanden Geologen in Australien winzige Partikel des Minerals Zirkon, Spuren von festem Land aus der Frühzeit der Erde vor 4,4 Milliarden Jahren. Seitdem herrscht Rätselraten in der Forscherwelt. War unser Planet kurz nach seiner Entstehung etwa doch keine rollende Magmakugel mehr ? Die chemische Zusammensetzung des Körnchens signalisiert, dass es damals bereits flüssiges Wasser auf der Erde gab. Könnte darin schon Leben gewesen sein? Und wie ist das Leben überhaupt entstanden?

URSUPPE

Vor gut 50 Jahren machte sich ein 23-jähriger Chemiestudent auf den Weg in die Kent Hall der Universität von Chicago, ein altes Gebäude, in dem die Fußböden knarrten und der Geruch von Staub und Moder in der Luft lag. Der junge Mann war nervös, denn er sollte in einem der angesehenen Montagsseminare vortragen, was er sich in den Monaten zuvor in seinem Labor erkocht hatte. Die Scheu war verständlich: Auf dem Podium standen gewöhnlich Nobelpreisträger oder solche, die es bald sein würden. Doch Stanley Miller konnte von einem außergewöhnlichen Experiment berichten. Er hatte eine Glasapparatur mit einem „Urozean“ aus Wasser und einer primitiven Atmosphäre aus Methan, Ammoniak, Wasserstoff und Wasserdampf gefüllt. Mit elektrischen Entladungen hatte er anschließend eine Woche lang die heftigen Gewitter der frühen Erde simuliert. Das künstliche Urmeer färbte sich erst knallrosa, später tiefrot. In der trüben Brühe fand Miller Bausteine des Lebens, unter anderem Aminosäuren. Seine Theorie von der Ursuppe des Lebens machte weltweit Furore.

Sie ist inzwischen Geschichte, eine schöne zwar, aber nicht die richtige. Das junge Leben hätte in den flachen Regionen der Ozeane, in denen Miller seine Ursuppe gedanklich köcheln ließ, schon allein die ultraviolette Strahlung der Sonne nicht überstanden. Eine schützende Ozonschicht gab es nicht. Dass die Wiege des Lebens eine nasse gewesen ist, nicken die meisten Wissenschaftler zwar heute ab. Und sie hat wohl auch auf unserem Planeten gestanden, nicht woanders im All.

Wer sie besuchen will, muss wahrscheinlich tief tauchen, bis auf den Grund der Meere. Dorthin, wo die Erde zu platzen scheint, wo aus Spalten in der Erdkruste mehrere hundert Grad Celsius heißes Wasser schießt. Abgesacktes Meerwasser, das im Erdinnern eine Verwandlung durchmacht, seine chemische Neutralität verliert, als Säure emporsteigt und aus dem Gestein Mineralien herausfrisst. Ein brodelnder Kosmos mit einem ungeheuren Potenzial an chemischer Reaktivität, zu Urzeiten noch viel aggressiver als heute. Die erste Spielwiese der Evolution.

Dass an derartigen hydrothermalen Quellen Leben existieren kann, steht fest. Archäbakterien etwa, die Extremisten in der belebten Natur, wachsen auch heute noch in unwirtlichen Lebensräumen: in kochenden Geysiren, heißen Schwefelquellen oder Säurepfützen. Die Urzeitmikroben sind im Stammbaum des Lebens an unterster Stelle verwurzelt. In den heißen Wasserströmen auf dem untermeerischen Kolbeinsey-Rücken im Atlantik nördlich von Island spürte der renommierte Regensburger Mikrobiologe Karl Stetter mit seinem Forscherteam das kleinste bisher bekannte Lebewesen auf: den „reitenden Urzwerg“ Nanoarchaeum equitans, ebenfalls ein Archäbakterium. 100 Stück dieser parasitisch lebenden Kugelmikroben mit genetischer Minimalausrüstung hätten bequem Platz in einem Darmbakterium Escherichia coli.

Doch irgendwie müssen auch die einfachsten aller Einfachen entstanden sein. Bisher galt die Devise: erst die Biomoleküle, dann die Zelle. Inzwischen gibt es auch das umgekehrte Denkmodell. William Martin von der Universität Düsseldorf und Michael Russell vom Scottish Universities Environmental Research Centre in Glasgow schlagen vor, dass sich das Leben in mineralischen „Brutzellen“ aus Eisen und Schwefel entwickelt haben könnte, die sich zu Milliarden an den hydrothermalen Quellen der Urzeit aufgebläht hätten. Die Wände dieser winzigen Steinkammern sind chemisch so aktiv, dass sie Reaktionen katalytisch vorantreiben. Das Szenario birgt aber noch einen weiteren Vorteil.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Ute Schmidt und John Sibbick

Ute Schmidt ist Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie lebt in Solingen.

Illustrator John Sibbick studierte Grafik am Guildford College im südenglischen Sussex und arbeitete viele Jahre als Designer in London, ehe er sich 1972 selbstständig machte und sich auf die Darstellung der Urgeschichte spezialisierte – mit gelegentlichen Ausflügen in die Welt der Fantasyromane.

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Vita Ute Schmidt ist Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie lebt in Solingen.

Illustrator John Sibbick studierte Grafik am Guildford College im südenglischen Sussex und arbeitete viele Jahre als Designer in London, ehe er sich 1972 selbstständig machte und sich auf die Darstellung der Urgeschichte spezialisierte – mit gelegentlichen Ausflügen in die Welt der Fantasyromane.
Person Von Ute Schmidt und John Sibbick
Vita Ute Schmidt ist Biologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie lebt in Solingen.

Illustrator John Sibbick studierte Grafik am Guildford College im südenglischen Sussex und arbeitete viele Jahre als Designer in London, ehe er sich 1972 selbstständig machte und sich auf die Darstellung der Urgeschichte spezialisierte – mit gelegentlichen Ausflügen in die Welt der Fantasyromane.
Person Von Ute Schmidt und John Sibbick