Ein Duft verändert die Welt

Die Banda-Inseln in Indonesien verzauberten einst die Menschen mit einem einzigartigen Produkt: der Muskatnuss. Mit ihr zogen nicht nur Wohlgerüche in die Küchen der Welt, mit ihr begann auch die globalisierte Wirtschaft. Was ist daraus geworden?

Mein Puls geht schneller, als ich die klapprige Propellermaschine besteige, die mich zu den Banda-Inseln fliegen soll. Von Ambon, einer chaotischen Stadt im Osten Indonesiens, wird mich das kleine Flugzeug in eine entlegene Inselwelt bringen, 1000 Meilen östlich von Java, 500 Meilen nördlich von Darwin in Australien. Hier, umgeben von der endlosen Tiefsee zwischen Sulawesi und Papua, liegt der Miniarchipel Banda, auf der Weltkarte kaum auszumachen. Inmitten des riesigen, aus 17 000 Inseln bestehenden Inselreichs Indonesien erscheint er gerade einmal als Ansammlung blasser Pünktchen. Zwölf Eilande, umgeben von einer Wolke aus Wohlgerüchen. Wir steuern die Gewürzinseln an. 

„Oh Gott!“ Die Passagiere an Bord scheinen allesamt alarmiert, als das Flugzeug über der Bandasee in Turbulenzen gerät. Je weiter wir uns den Inseln nähern, desto häufiger, ängstlicher und lauter werden die Rufe. Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Banda kam, war die Anreise ähnlich aufregend. Damals gab es noch keine Flüge, die Reisenden kamen per Schiff. 14 500 Tonnen schwere Dampfer, überladen und vollgestopft mit Menschen. Nachts, wenn die Stürme losbrachen und die Wellen höherschlugen, übertönten die Gebetsgesänge jedes andere Geräusch. Sie kamen aus den stickigen Decks, wo Tausende zusammengepfercht hockten. Das Schiff rollte in der See, die Gottesanrufungen nahmen kein Ende. Und ich hoffte, dass Gott mich sicher nach Banda bringen würde.

Der britische Historiker Giles Milton notiert 1999 für sein Buch „Nathaniel’s Nutmeg“: „Der Duft der Insel erreicht uns, bevor überhaupt Land in Sicht kommt.“ Damals, auf dem überfüllten Deck des Schiffs, konnte ich seinen Worten kaum etwas abgewinnen. Nichts duftete hier. Es stank. Nach Latrine, nach Erbrochenem, nach schalem Essen. Und immer wieder hörte ich den Namen Gottes, der unablässig um Gnade angerufen wurde.

Jetzt, nach weniger als einer Stunde Flugzeit, ist die Angst ausgestanden. Wir landen auf Neira, einem gerade einmal drei Quadratkilometer großen Fleckchen Erde. Es ist das wirtschaftliche Zentrum von Banda. In den vergangenen Jahren bin ich oft hierhergekommen, und es ist wie immer. Absolut nichts hat sich verändert. Das Rollfeld, auf dem wir zum Stehen kommen, gab es schon, als noch gar keine Flugzeuge nach Banda kamen – damals wie heute eine Freifläche, auf der verliebte junge Paare flanieren oder Jugendliche Mopedrennen austragen. 

Ganz anders in den engen Gassen von Neira. Hier herrscht Stille. In den Höfen der Häuser und Hütten wird nach wie vor Muskatnuss getrocknet. Die Gebäude aus der Kolonialzeit stehen unverändert an ihrem Platz. Alles ist wie eh und je. In Banda, so scheint es, kann die Vergangenheit nicht vergehen. 

Es fühlt sich an, als würde ich in mein Heimatdorf zurückkehren. Allerdings gibt es hier nun keinen Platz mehr für mich. Die alte Frau, die mich wie einen Sohn aufgenommen hatte und mir ihr Haus zur Verfügung stellte, lebt nicht mehr. Vor zwei Jahren erhielt ich die knappe Mitteilung, dass sie verstorben sei. Zur Beerdigung konnte ich nicht kommen. Mein Zuhause in Sumatra ist zu weit entfernt von Banda. Als ich nun an ihrem Grab bete, liegt ein Geruch von Muskatnuss in der Luft. Der Duft des Himmels. 

Um diese Jahreszeit riecht alles nach Muskat. Die Ernte ist in vollem Gang. Ganz in der Nähe des Grabs meiner Adoptivmutter schälen Männer die frische Frucht. Sie trennen die Nuss von der Blüte, einer roten Membran. Beides landet in hölzernen Karren, die am Ende so schwer sind, dass sich die Männer beim Schieben mehrfach abwechseln müssen. Harte Arbeit. Auf der Straße geht es vorbei an der Bronzestatue von König Willem III. Dann in Richtung Fort Belgica, ein lang gestrecktes Pentagon, rundum bewehrt mit Kanonen. Es kommt mir vor, als könnten sie jeden treffen, der es wagt, einen Fuß auf die Insel zu setzen. Nicht nur hier, überall auf der Insel liegen rostige Kanonen achtlos verstreut, in den Plantagen, vor den Häusern der ehemaligen niederländischen Würdenträger oder einfach am Straßenrand. Es wirkt, als sei dies seit ewigen Zeiten eine Ausstellung für Kriegsgerät. 


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mare No. 166

mare No. 166Oktober / November 2024

Von Fatris MF und Muhammad Fadli

Fatris MF, Jahrgang 1983, lebt in Padang, seiner Heimatstadt auf Sumatra. Er ist ein indonesischer Journalist und Schriftsteller, der sich auf die Berichterstattung über Umwelt und indigene Völker spezialisiert hat. Er hat sieben Bücher geschrieben, die sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus, den kulturellen Folgen und der alten Spiritualität in Indonesien befassen.

Muhammad Fadli, geboren 1984, lebt in Jakarta als freier Fotograf. Ende 2014 reiste er zum ersten Mal auf die Banda-Inseln. Aber er hatte sich den falschen Zeitpunkt ausgesucht, nämlich den Höhepunkt der westlichen Monsunzeit. Das kleine Holzboot, das er bestieg, wurde von tosenden Wellen geschüttelt und wäre beinahe gekentert. Seine Gedanken flogen Tausende von Kilometern nach Hause. Seine erste Tochter war damals vier Monate alt (sie ist heute zehn Jahre alt), und er schwor sich, nie wieder zurückzukommen. Aber nur vier Monate später kehrte er zum zweiten Mal nach Banda zurück, zum dritten Mal und so weiter. Er hatte sich dem Projekt verschrieben, die langen Nachwirkungen der Kolonialisierung der Banda-Inseln fotografisch zu dokumentieren.

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Fatris MF, Jahrgang 1983, lebt in Padang, seiner Heimatstadt auf Sumatra. Er ist ein indonesischer Journalist und Schriftsteller, der sich auf die Berichterstattung über Umwelt und indigene Völker spezialisiert hat. Er hat sieben Bücher geschrieben, die sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus, den kulturellen Folgen und der alten Spiritualität in Indonesien befassen.

Muhammad Fadli, geboren 1984, lebt in Jakarta als freier Fotograf. Ende 2014 reiste er zum ersten Mal auf die Banda-Inseln. Aber er hatte sich den falschen Zeitpunkt ausgesucht, nämlich den Höhepunkt der westlichen Monsunzeit. Das kleine Holzboot, das er bestieg, wurde von tosenden Wellen geschüttelt und wäre beinahe gekentert. Seine Gedanken flogen Tausende von Kilometern nach Hause. Seine erste Tochter war damals vier Monate alt (sie ist heute zehn Jahre alt), und er schwor sich, nie wieder zurückzukommen. Aber nur vier Monate später kehrte er zum zweiten Mal nach Banda zurück, zum dritten Mal und so weiter. Er hatte sich dem Projekt verschrieben, die langen Nachwirkungen der Kolonialisierung der Banda-Inseln fotografisch zu dokumentieren.

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Fatris MF, Jahrgang 1983, lebt in Padang, seiner Heimatstadt auf Sumatra. Er ist ein indonesischer Journalist und Schriftsteller, der sich auf die Berichterstattung über Umwelt und indigene Völker spezialisiert hat. Er hat sieben Bücher geschrieben, die sich mit den Auswirkungen des Kolonialismus, den kulturellen Folgen und der alten Spiritualität in Indonesien befassen.

Muhammad Fadli, geboren 1984, lebt in Jakarta als freier Fotograf. Ende 2014 reiste er zum ersten Mal auf die Banda-Inseln. Aber er hatte sich den falschen Zeitpunkt ausgesucht, nämlich den Höhepunkt der westlichen Monsunzeit. Das kleine Holzboot, das er bestieg, wurde von tosenden Wellen geschüttelt und wäre beinahe gekentert. Seine Gedanken flogen Tausende von Kilometern nach Hause. Seine erste Tochter war damals vier Monate alt (sie ist heute zehn Jahre alt), und er schwor sich, nie wieder zurückzukommen. Aber nur vier Monate später kehrte er zum zweiten Mal nach Banda zurück, zum dritten Mal und so weiter. Er hatte sich dem Projekt verschrieben, die langen Nachwirkungen der Kolonialisierung der Banda-Inseln fotografisch zu dokumentieren.

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