Ei, wie fein

Ein Hühnervogel auf den Inseln Melanesiens lässt sich von Vulkanen beim Brüten helfen – sehr zur Freude der Insulaner

Das Großfußhuhn Megapodius eremita ist nicht gerade eine Schönheit. Wer an Papua-Neuguinea denkt, dem kommen zuerst Paradiesvögel, bunte Schmetterlinge und jede Menge andere exotische Arten in den Sinn. Megapodius eremita hat nichts davon. Seine Federn sind dunkelbraun, der Schnabel mattgelb, die Statur gedrungen, die Füße riesig. Im Gegensatz zum Paradiesvogel, der die meiste Zeit des Tages im tropischen Regenwald verbringt, fristet das Huhn ein bescheidenes Dasein in den kargen Büschen am Fuß des Vulkans Tavurvur. Doch das Tier hat eine einzigartige Bruttechnik entwickelt: Es brütet seine Eier nicht selbst aus, sondern lässt dies vom Vulkan tun. Bei den Einheimischen sind sie als Delikatesse begehrt.

An einer sandigen Grube am Fuß des Tavurvur steht ein Mann. Sein Körper ist mit einer braunen Kruste aus Sand, Bims und Schweiß überzogen. Wie ein Maulwurf scharrt Chris Simon in einem drei Meter tiefen Loch. Am Tavurvur staut sich tropische Hitze. Die Schwefeldämpfe beißen in den Augen. Es hat weit über 30 Grad Celsius. In Simons Erdloch ist es noch heißer. „Man spürt die Hitze des Vulkans“, sagt er. Simon ist Eiersammler. Bereits seit Generationen graben die ortsansässigen Tolai, eine Ethnie von etwa 120 000 Menschen, die Eier der Tiere, die sie ngiok nennen, aus dem warmen Vulkansand aus, weil sie als extrem nahrhaft gelten. Sie schürfen nach ihnen beinahe wie nach Gold.

In der Brutzeit zwischen Mai und Oktober brechen die Männer jeden Morgen mit ihren Booten von der nahen Halbinsel Matupit zum Vulkan Tavurvur auf, denn ausschließlich den Bewohnern der Halbinsel ist es erlaubt, nach den Eiern zu suchen. Am Strand versammeln sie sich. Dann steigen sie gemeinsam zu dem Sandfeld am Fuß des Vulkans auf, denn die Eiersuche ist gefährlich. Der Sand ist puderweich, keine der Gruben gesichert, einen Schutz vor Einsturz gibt es nicht. „Immer wieder werden Männer verschüttet“, sagt Simon. „Wir nennen den Ort deswegen auch ‚Friedhof‘.“

Simon liegt jetzt bäuchlings in der Grube. Mit großer Sorgfalt arbeitet er sich ins Erdreich vor. Zentimeter um Zenti­meter schaufelt er Vulkansand aus dem Loch. Immer wieder rieselt Sand zurück ins Innere. Doch Simon weiß, dass es nicht mehr weit sein kann, denn der Sand ist so weich, als sei er eben umge­graben worden – das Huhn muss erst vor Kurzem hier gewesen sein. Schließlich hält der 40-Jährige etwas leicht Pinkfarbenes in der Hand. Es hat etwa die Größe einer Avocado, ist aber als Ei deutlich zu erkennen.

„Wir Tolai ziehen das Ei des Großfußhuhns jedem üblichen Hühnerei vor“, sagt Simon. „Denn es besteht zu zwei Dritteln aus Eigelb. Es ist sehr nahrhaft.“ Die Zubereitung erfolgt meist traditionell: Die Eier werden in Blätter gewickelt, im Feuer gegart und dann mit Kochbananen verspeist. Oft verarbeiten die Einheimischen sie auch zu Rührei, und wenn sie ganz frisch sind, essen sie sie auch roh. Die Eier, die die Männer nicht zu Hause verbrauchen, verkaufen ihre Frauen zu drei Kina das Stück, knapp 80 Cent, auf den Märkten von Rabaul und Kokopo. Ist es ein besonders heißer Tag, sieht man die Männer die Eier direkt an den heißen Quellen am Fuß des Vulkans in Körben aus Palmblättern kochen. „Der Haltbarkeit wegen“, sagt Simon.

Das Verbreitungsgebiet von Megpodius eremita reicht von der Insel Neubritannien bis zu den benachbarten Salomonen. Trotz seiner äußerlichen Defizite ist das Huhn, das seit der deutschen Kolo­nialzeit in Neuguinea (1884–1918) auch Bismarckhuhn genannt wird, ein raffiniertes Tier, denn es tut einiges, um sich von anderen abzuheben. Am frühen Morgen, wenn die Sonne noch nicht über den Horizont geklettert ist, buddelt Mega­podius eremita ein Loch in den Vulkansand – und zwar genau so tief, dass der Sand die Temperatur von 33 Grad hat. ➣ Diese misst das Huhn mit der Innenseite seines Schnabels. Ist der ideale Ort gefunden, legt es sein Ei am Ende des Gangs ab und bedeckt es mit Sand. Dann übernimmt der Vulkan.


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mare No. 162

mare No. 162Februar / März 2024

Von Fabian von Poser und Kristina Steiner

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seinem Besuch auf Neubritannien beeindruckt von der Ausdauer, mit der die Sammler nach den Eiern graben.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Mehrfach reiste sie in den vergangenen Jahren nach Papua-Neuguinea und verbrachte einige Wochen bei den Tolai.

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Vita

Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seinem Besuch auf Neubritannien beeindruckt von der Ausdauer, mit der die Sammler nach den Eiern graben.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Mehrfach reiste sie in den vergangenen Jahren nach Papua-Neuguinea und verbrachte einige Wochen bei den Tolai.

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Fabian von Poser, Jahrgang 1969, freier Autor in München, war bei seinem Besuch auf Neubritannien beeindruckt von der Ausdauer, mit der die Sammler nach den Eiern graben.

Kristina Steiner, Jahrgang 1980, lebt als freie Fotografin in Arnis an der Schlei. Mehrfach reiste sie in den vergangenen Jahren nach Papua-Neuguinea und verbrachte einige Wochen bei den Tolai.

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