Als die nackten Kerle von der Ostsee in den Hamburger Kunstsalon Clematis einziehen, sperrt man sie flugs in den Keller. Die Betreiber, das Ehepaar Heldt, befürchten, sie könnten das Publikum entsetzen, sogar die Polizei auf den Plan rufen. Das Bild der Entblößten, die Edvard Munch in seinem gut mannshohen Gemälde „Badende Männer“ zeigt, wirke zu „brutal“ in seiner „Ungeschminktheit“. „Merkwürdig, merkwürdig“, schreibt sein Förderer, der Hamburger Richter Gustav Schiefler, dem norwegischen Maler, „an nackten Frauen findet man nun nichts Anstößiges mehr. Man steht in Gesellschaft anderer Frauen davor und unterhält sich darüber.“ Überhaupt: „So etwas Starkes haben Sie noch nicht gemalt. […] Mir war es, als wenn ich einen Rippenstoß kriegte.“
Auch das reale Vorbild einer der zwei Figuren im Vordergrund des Gemäldes – wahrscheinlich der Warnemünder Bademeister, den Munch wohl mit einem weiteren Mann für sein Werk angeheuert hatte – soll zu spüren bekommen haben, wie sehr unverhüllte Männlichkeit die Menschen schockierte. Bis heute erzählt man sich in dem Seebad, der Bademeister sei deswegen entlassen worden, so die Kunsthistorikerin Petra Schmidt-Dreyblatt, Warnemünderin und Mitgründerin des Edvard-Munch-Hauses in dem Rostocker Ortsteil. Aufzeichnungen darüber gebe es nicht, wahrscheinlich ist es aber schon. Auch am Strandabschnitt für die Männer, durch hohe Zäune getrennt von dem der Frauen, schreibt die Badeordnung damals Badehose oder -anzug vor, am Familienstrand gar „vom Halse bis zu den Knien“. Und dann kommt da dieser „Eduard Munch“ aus Norwegen – vorn mit einem Lendenschurz bedeckt, hinten blank – und stellt seine Leinwand am Strand auf, an dem sich sommers die feine Gesellschaft aus Rostock und Berlin erholt. Mit Munch sind ein Bergwerksbesitzer, eine Opernsängerin, ein Feldwebel und Eigentümer von Rittergütern angekommen, meldet der „Warnemünder Bade-Anzeiger“ am 7. Juni 1907.
Vielleicht hätte man über die Gruppe hinwegsehen können, die vergnügt im Wasser planscht. Vielleicht sogar über den Mann im Profil, der rechts ins Bild hineinspaziert und wohl Munch selbst ist. Schließlich trieben Männer schon in der Antike nackt Sport, auch bei den Olympischen Spielen. Im Mittelalter stellten Genies wie Michelangelo Männer nackt dar – auch wenn dessen „David“-Statue Königin Victoria 50 Jahre vor Munchs „Badenden“ so aus der Fassung brachte, dass das Victoria and Albert Museum den Penis mit einem Feigenblatt aus Keramik verhängte.
Und im Kaiserreich? Da gibt es durchaus Künstler, die ähnliche Badeszenen malen, etwa Max Beckmann mit „Junge Männer am Meer“, nur zwei Jahre zuvor. Doch im Vergleich mit den selbstbewussten, kraftvoll anmutenden Warnemündern wirken die Jünglinge eher wie brave Hirten in Arkadien. Aber jetzt diese zwei breitbeinigen Männer, die sich den Betrachtern frontal präsentieren? Tourismuswerbung sieht anders aus.
Der 43-jährige Munch, der zwischen Juni 1907 und Oktober 1908 mit Unterbrechungen in Warnemünde wohnt, ist Kritik gewohnt. Durch sie ist er in Kunstkreisen bereits eine Berühmtheit, gerade in Deutschland, wo er seinen Durchbruch hatte und seit Jahren lebt. Es ist nicht neu für ihn, dass Menschen aufgebracht sind, wenn sie seine Werke sehen, auf denen manchmal noch die Leinwand durchschimmert, dann wieder große Farbflächen kräftig leuchten, Kratzer und Pinselstriche deutlich zu sehen sind. „Du malst wie ein Schwein, Edvard“, schrieb ein Kollege nach seinem Debüt in Kristiania, wie Oslo damals hieß.
Seine erste große Schau in Berlin 1892 verursacht einen nie da gewesenen Aufruhr. Sie gilt als Beginn der Moderne in der Malerei in Deutschland, weil sie den Kunstbetrieb in zwei Lager spaltet: die Konservativen, die seine Werke als unfertig, als „anarchistische Provokation“ empfinden. Und die Progressiven wie Max Liebermann und Lovis Corinth, die sich bald darauf als „Berliner Secession“ vom akademischen Mainstream abspalten. „Hier gibt es […] jede Menge jämmerlicher alter Maler, die über die neue Richtung rasen. Die Zeitungen führen sich schrecklich auf“, schreibt Munch seiner Tante in Norwegen. Nach nur wenigen Tagen wird die Ausstellung geschlossen. Er nimmt es gelassen. „Bessere Reklame kann ich gar nicht haben.“
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Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, lebt als Journalistin und Redakteurin in Hamburg. Zuletzt schrieb sie in mare No. 165 ebenfalls über einen aus der Ferne an die Ostsee eingewanderten Gesellen: den Sanddorn.
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Vita | Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, lebt als Journalistin und Redakteurin in Hamburg. Zuletzt schrieb sie in mare No. 165 ebenfalls über einen aus der Ferne an die Ostsee eingewanderten Gesellen: den Sanddorn. |
Person | Von Silvia Tyburski |
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Vita | Silvia Tyburski, Jahrgang 1976, lebt als Journalistin und Redakteurin in Hamburg. Zuletzt schrieb sie in mare No. 165 ebenfalls über einen aus der Ferne an die Ostsee eingewanderten Gesellen: den Sanddorn. |
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