Die weißen Seebären

Ihre Heimat ist das zugefrorene Meer. Aber auch unter Wasser ist der Eisbär in seinem Element

Ein Eisbär schwimmt seine Runden: seelenruhig, gleichmäßig, ohne Unterbrechung. Rhythmisches Plantschen, als würde jemand Schwimmtraining absolvieren. Am Beckenrand wendet der weiße Bär wie ein Profischwimmer – Vordertatzen über den Kopf nach hinten geworfen, den birnenförmigen Leib in einer Schraubendrehung hinterher.

„Das ist Nancy“, erläutert Thomas Dörflein, Tierpfleger im Berliner Zoo. „Die zieht hier jeden Tag ihre Bahnen.“ Mehr als eine Stunde geht das so, ehe Nancy das felsige Festland des Geheges erklimmt. Sie schüttelt ihren Pelz, dass das Wasser nach allen Seiten spritzt. Zwei ihrer vier Genossen sind derweil ins Becken gesprungen und liefern sich einen spielerischen Ringkampf, der in einer wilden Plantscherei endet. Auch im Zoo demonstrieren Eisbären, was ihr eigentliches Element ist: Wasser. Genauer Meerwasser, in flüssigem oder gefrorenem Zustand. Ursus maritimus, der lateinische Name, weist trefflich darauf hin, dass der Eisbär eigentlich ein Meer-Bär ist.

Wenn sich so ein zweieinhalb bis drei Meter großer Riese mit der Verdrängungskraft von einer halben Tonne in die Fluten wirft, erweist er sich als geschickter Schwimmer und Taucher. Zum Schwimmen paddelt er wie ein Hund mit den Pfoten. Aber was für Pfoten! Tellergroße Tatzen, die im Verhältnis zum Körper überdimensioniert wirken. Sie erfüllen gleich mehrere Funktionen: Auf dem Eis ermöglichen sie dem Bären einen sicheren Tritt wie in Schneeschuhen. Unter Wasser erleichtern sie den Vortrieb – als hätte der Bär Flossen umgeschnallt. Und mit Klauen wie Fleischerhaken bewehrt, sind seine Pranken eine todsichere Waffe, vor der es kein Entrinnen gibt.

Eisbären verfügen über eine erstaunliche Kondition: Sie können 100 Kilometer am Stück durchs Meer schwimmen, manchmal auch mehr. Es kommt jedoch vor, dass die Tiere auf Eisschollen verdriften und auf dem offenen Meer treiben. Einige von ihnen wurden früher von Matrosen eingefangen und europäischen Königen als Geschenke mitgebracht.

Für ihre Schwimm-Eskapaden brauchen Polarbären nicht nur Flossenpfoten, sondern auch eine gute Wärmedämmung. Sie leben rund um den Nordpol, auf dem Meereseis und in den angrenzenden Küstengebieten von Alaska, Kanada, Grönland, Norwegen und Russland. Der arktischen Kälte ihrer Heimat trotzen sie mit doppelt gewebtem Pelz und viel Speck auf den Rippen. Über der feinen Unterwolle auf der Haut liegt ein Spezialfell aus hohlen Haaren, die mit Luft gefüllt sind und optimal isolieren.

So halten die Giganten am Nordpol ihre Körpertemperatur von 37 Grad Celsius, auch wenn die Lufttemperatur auf minus 37 sinkt und sie in einer Schneewehe ruhen. Unter dem weißen Pelz verbirgt sich eine schwarze Haut, die wie ein Solarkollektor funktioniert. Sie absorbiert die wärmenden Sonnenstrahlen, wodurch der Körper weniger Kalorien zum Heizen verbraucht.

Als wandelnde Thermoskannen gibt es für Eisbären nur einen Nachteil: Ihnen wird es schnell zu warm. Dagegen hilft nur Langsamkeit. So trotten die Raubtiere in den weißen Pelzoveralls meist ganz gemächlich übers Eis und schwenken den Kopf sacht hin und her. Von Zeit zu Zeit halten sie inne und recken ihre Schnauze witternd in den Wind. Ein Puzzle sämt-licher Gerüche liefert ihnen die wichtigsten Informationen: Wo verbirgt sich eine Robbe unterm Eis, in welche Himmels-richtung marschieren Artgenossen, wo rottet ein Kadaver vor sich hin?

Erschnuppert der Bär eine Robbe, die sich ein paar hundert Meter entfernt auf dem Eis räkelt, erstarrt er sofort zur Salzsäule – manchmal noch mit der ausschreitenden Pfote in der Luft, wie der kanadische Polarbär-Experte Ian Stirling beobachtet hat. Mit gesenktem Kopf schleicht der Räuber dann bis auf 30 Meter an die potenzielle Beute heran, bevor er sie in einer Sprint-Attacke zu überwältigen versucht. Dazu beschleunigt der weiße Koloss kurzfristig auf Tempo 40. Erwischt er die Robbe, ehe sie durchs Atemloch im Eis zurück ins Meer fliehen kann, dann zermalmt er ihren Kopf, dass es nur so kracht. Zwischen seinen Pranken und den vier Zentimeter langen Reißzähnen gibt es kein Überleben.

Anschleichen haben die Polarbären zur Meisterschaft perfektioniert. Mit platt auf den Boden gedrücktem Vorderkörper und hochgerecktem Hintern erzeugen manche gar die Illusion eines Eisbergs, der rein zufällig Richtung Robbe driftet. „Einen Eisbär auf der Pirsch“, so heißt es unter Jägern, „bemerkt man nicht eher, als bis er einen packt.“ Dass Eisbären beim Anschleichen ihre weithin sichtbare, pechschwarze Schnauze mit der Pfote abdecken, klingt jedoch nach Jägerlatein. Forscher haben es in Hunderten von Beobachtungsstunden noch nicht gesehen.

Das Jagdhandwerk erlernen die weißen Bären von ihrer Mutter, unter deren Obhut sie bis ins dritte Lebensjahr stehen. Die Jungen folgen ihr auf Schritt und Tritt und ahmen alles nach: Gucken, Schnüffeln, auf den Boden werfen. Macht die Mutter sich an eine Robbe ran, bleiben sie ruhig liegen und schauen zu. Vorausgesetzt, die Sprösslinge sind wohlerzogen. Ian Stirling hat Szenen beobachtet, wie Jungtiere während des mütterlichen Anschleichmanövers neugierig vorpreschten und das Mittagessen verscheuchten. Derart geprellte Bärinnen reagierten äußerst erbost, manchmal mit einem Prankenhieb, dass die Kleinen hintenüber kugelten. Die Disziplin war jedenfalls sofort wiederhergestellt.


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mare No. 18

No. 18Februar / März 2000

Von Monika Rößiger und Heidi und Hans-Jürgen Koch

Diese Fotoreportage wurde mit freundlicher Unterstützung der Firma Olympus ermöglicht.

Heidi und Hans-Jürgen Koch leben in Cuxhaven und gehören zu den renommiertesten deutschen Tierfotografen. Dies ist ihre zweite Arbeit für mare; in Heft 3 erschienen ihre Bilder der See-Elefanten in Kalifornien.

Monika Rößiger war mare-Wissenschaftsredakteurin.

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