Die Stadt, die ich mir kaufe

Libertäre Investoren planen private Siedlungen auf dem Meer, ­deren Bewohner nicht Staatsbürger, sondern Kunden sind. Dahinter steht nicht selten eine radikale Abkehr von der Demokratie

Im Yachthafen von Puerto Lindo an der Karibikküste Panamas dümpeln die Boote träge vor sich hin. Zwischen ihnen treibt eine strahlend ­weiße Konstruktion, die an einen riesigen Käfer erinnert. Auf einem stählernen Schaft, der senkrecht nach oben ragt, ruht der mächtige Körper des Insekts. Drei ­lange Aus­legerarme halten ihn stabil über dem Wasser. Dort oben sitzt Grant Romundt und lacht in die Kamera seines Smartphones: „Viele Menschen finden unser Projekt interessant, auch wenn sie nie so leben wollen“, sagt der kanadische Unternehmer. „Aber wer einmal in den SeaPod steigt, wird sich in ihn verlieben.“ 

Romundt ist Mitgründer und Chef des Unternehmens Ocean Builders, das das schwimmende Vehikel entwickelt hat. Der SeaPod ist ein „floating home“ mit Wohn- und Schlafzimmer, Bad und Küche auf einer Fläche von 70 Quadratmetern. „Teure Immobilien sind häufig in Wassernähe oder haben einen Meerblick“, sagt Romundt. „Den bieten wir auch – aber nicht nur in eine Richtung, sondern überall hin.“ 400 000 US-Dollar soll der güns­tigste SeaPod kosten und könnte 2025 erstmals ausgeliefert werden. 

Schon bald soll die futuristische Konstruktion aus Stahl und Glasfaser hinaus aufs Meer gezogen werden – das aktuelle Modell ist für eine Wassertiefe von bis zu 30 Metern konzipiert. Ausgestattet mit einer Entsalzungsanlage und Solarzellen, soll der SeaPod seinen Bewohnern größtmögliche Unabhängigkeit von der Infrastruktur des Festlands bieten; Lebensmittel könnten per Boot oder Drohne angeliefert werden.

Nur: Wer interessiert sich überhaupt für ein Leben auf dem Meer? Das seien ganz unterschiedliche Leute, meint Unternehmensgründer Romundt, zum Beispiel Yacht­besitzer und wohlhabende Rentner oder Künstler und Kreative. 

Und natürlich Menschen wie Joe Quirk. Der US-Amerikaner ist Direktor des Seasteading Institute, einer kleinen NGO mit ziemlich großen Zielen. Ursprünglich mit einer sechsstelligen Anschubfinanzierung durch den libertä­ren Investor und Trump-Unterstützer Peter Thiel ausgestattet, sieht sich die Organisation mit Sitz in San Francisco als Wegbereiter des Seasteading, der permanenten Besiedlung der Weltmeere. Für Quirk ist das etwas anderes als eine Technik zur Überwindung der bisherigen Nationalstaaten. Er träumt von der Entwicklung sogenannter „voluntary societies“, freiwilliger Gesellschaften, in denen man nicht qua Geburt zum Staatsbürger wird, sondern durch die bewusste Entscheidung für ein Angebot, das am ehesten den eigenen Lebensvorstellungen entspricht. 

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Fortschritt jeglicher Art wie in der Evolution nur durch Variation und Selektion entsteht“, sagt Quirk, also durch Veränderung und das Ausprobieren neuer Ideen, von denen sich die besten durchsetzen. „Aber Regierungsformen lassen sich auf diese Art und Weise nicht ändern, weil das zu Krieg und Revolutionen führen würde, die niemand will.“ Also brauche es Seasteads, um neue Gesellschaftsmodelle zu erproben und voranzubringen.
 
Quirk und seine Mitstreiter sehen sich in der Tradition der europäischen Siedler an der „American Frontier“, einem der Gründungsmythen der Vereinigten Staaten, der auf der Überzeugung beruht, dass erst die Grenz­erfahrung der Erschließung und Kolonisierung neuer Siedlungsgebiete im Westen Nordamerikas den Entdeckergeist und die Innovationskraft der US-Gesellschaft hervorgebracht hätten. Nur dass die heutigen Seasteader ihre „blue frontier“ nicht mehr auf dem Festland verorten, sondern mitten im Meer.

Der Traum von der Besiedelung der Hohen See beflügelt die Fantasie der Menschen schon seit Langem. 1895 veröffentlichte der französische Schriftsteller Jules Verne den Roman „Die Propeller­insel“. In dem Werk erzählt der Autor die Geschichte von Standard Island, einer 30 Quadratkilometer großen, aus Tausenden Bauteilen zusammengeschraubten Insel aus Metall, die sich, von mächtigen Propellermotoren angetrieben, über die Weltmeere bewegt. Bevölkert wird die riesige Plattform von reichen Amerikanern, die ihr schwimmendes Eiland wie eine echte Stadt ausgestattet haben: mit Kultursalons und Restaurants, sogar eine Straßenbahn fährt über die Insel. Paradiesische Zustände also, doch natürlich kommt es zwischen zwei verfeindeten Gruppen zum Streit. Am Ende zerbricht Standard Island, weil sich die beiden Gruppen nicht auf einen gemeinsamen Kurs einigen können.


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mare No. 164

mare No. 164Juni / Juli 2024

Von Martin Reischke

Als Jugendlicher verschlang Martin Reischke, Jahrgang 1979, freier Journalist in Berlin, die Abenteuerromane von Jules Verne. Nun, 30 Jahre später, hat er für diese Recherche zum ersten Mal wieder nach dem französischen Autor gegriffen.

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Vita Als Jugendlicher verschlang Martin Reischke, Jahrgang 1979, freier Journalist in Berlin, die Abenteuerromane von Jules Verne. Nun, 30 Jahre später, hat er für diese Recherche zum ersten Mal wieder nach dem französischen Autor gegriffen.
Person Von Martin Reischke
Vita Als Jugendlicher verschlang Martin Reischke, Jahrgang 1979, freier Journalist in Berlin, die Abenteuerromane von Jules Verne. Nun, 30 Jahre später, hat er für diese Recherche zum ersten Mal wieder nach dem französischen Autor gegriffen.
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