Die Insel der Erinnerung

Zu seinem 250. Geburtstag wird der Maler Caspar David Friedrich weithin geehrt. Eine bedeutende Wirkung seines großen Werks wird dabei notorisch übersehen

Liebe Seidler: Ganze drei Monate lang hat sich der Eisbär, dessen Sie sich so güthig erinnern, an der Küste der Ostsee herum getrieben, und zu öfteren sich in die grünlichen Fluthen getaucht“, schrieb Caspar David Friedrich am 18. Oktober 1815 nach seiner Rügenreise an seine Malerfreundin Louise Seidler. „[…] Und hat gesehen Seehunde ihr nasses Haupt aus den Wellen erheben und wieder in die Tiefe zurückkehren. Und habe gesehen die Creaturen des Meeres gar mancherlei Art, wie sie leben und wie sie gelebt haben vor Jahrtausenden und zu Stein worden sind. Und habe gehöret der Möhwen klagendes Geschrei schwebend über die emppöhrten Fluthen und sich hinab stürtzen sehen in die Tiefe ihre Nahrung zu suchen. Und habe gesehen das Schönste was je Menschenwitz hervorgebracht: Schiffe mit schwellenden Segeln die immer bewegliche Fleche durchkreutzen. Und den Schiffer auf Gott vertrauent sich dem ungestühmen Meere hingebend.“ 

Fast neun Jahre lang konnte Friedrich wegen der napoleonischen Besetzung seine Sehnsuchtsinsel Rügen nicht besuchen. Aber bald nach der endgültigen Niederlage der Franzosen bei Waterloo im Juni 1815 hatte er die Reise geplant und war mit seinem Dresdner Bekannten Friedrich Kummer gen Norden aufgebrochen. Dank C. D. Friedrichs Skizzenbuch können wir ihre Wanderungen über die Insel genau verfolgen. Nach der Ankunft am 2. August durchstreiften sie das Mönchgut bis an dessen Südspitze bei Thießow. Dann wanderten sie zur Residenzstadt Putbus weiter, wo sich ihre Wege trennten. Erst in der Stubnitz auf Jasmund trafen sie sich wieder, wo Kummer bei einer Kletterpartie in der Kreide in eine lebensgefährliche Lage geriet. Nur mit Hilfe eilends herbeigerufener Bewohner eines nahen Baumhauses konnte der Dresdner Münzbeamte gerettet werden. Während er sich von diesem Schrecken erholte, zeichnete Friedrich die Kreideklippen der Stubbenkammer, die er später in dem Aquarell „Die Wissower Klinken mit Blick auf das Meer“ ausführte. Dazu skizzierte er Küstenlandschaften, Segelboote und Fischernetze, die auf späteren Seestücken Verwendung fanden. 

Friedrich hat Rügen zwischen 1801 und 1826 siebenmal ­besucht und in seinen Skizzenbüchern Orte und Tage präzise festgehalten. Seine heute weltweit bewunderten Gemälde entstanden später in Dresden in einem Atelier über der Elbe, wo er sich eine Insel der Erinnerung geschaffen hatte. An dessen Wänden hingen nur eine Reißschiene und ein Dreieck, wie ein Gemälde seines Freunds Georg Friedrich Kers­ting zeigt. Völlige Konzentra­tion auf das „innere Bild“ in seiner Vorstellung war ihm ebenso wichtig wie Präzision im Detail. 

Aber trotz aller Skizzen von Landschaften, Schiffen und ­Fischereigeräten tauchen „Creaturen der Meere“ auf keinem seiner Gemälde auf. Eine Ausnahme macht der „Mönch am Meer“ von 1810, den Heinrich von Kleist in seinen „Berliner Abend­blättern“ enthusiastisch gefeiert hat und der zusammen mit der ­„Abtei im Eichwald“ von Preußens König Friedrich Wilhelm III. ­angekauft wurde und den Ruhm seiner Malerei begründete. 

Friedrich liefert zu diesem Bild nach der Fertigstellung eine Beschreibung: „Am Strandte geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreient um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen.“ Doch die Möwen auf diesem Gemälde scheinen nicht nur die Botinnen des nahenden Sturms zu sein, der am Horizont aufzieht. Auf Reproduktionen sind sie kaum zu erkennen; man muss das Original in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel aufsuchen und sie genauer in Augenschein nehmen. Dort sieht man, dass sie geflügelten Seelen gleichen, wie man sie von mittelalterlichen Tafelbildern kennt. 

Der Greifswalder Friedrich, der sich auf Rügen mit den Einheimischen auf Plattdeutsch unterhielt, wird auch den alten Seemannsaberglauben gekannt haben, dass in jeder Möwe die Seele eines ertrunkenen Matrosen haust. Die beiden Segelschiffe, die auf dem Gemälde ursprünglich nahe am Ufer kreuzten, hat er später übermalt und dem Bild dadurch Uferlosigkeit und Weite gegeben. In seinen Gedanken über das Bild gibt Friedrich einen Hinweis: „Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht, dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits.“


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Holger Teschke

Der in Berlin und Sassnitz lebende Autor Holger Teschke, 1958 auf Rügen geboren, fuhr zur See, studierte Schauspielregie in Berlin und arbeitete als Regisseur und ­Dramaturg in Deutschland und in den USA. Zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag schrieb er das Kammerspiel „Wanderers Nachtlied“ sowie den Porträtband „Möwen“ für die „Natur­kunden“ bei Matthes & Seitz.

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Vita Der in Berlin und Sassnitz lebende Autor Holger Teschke, 1958 auf Rügen geboren, fuhr zur See, studierte Schauspielregie in Berlin und arbeitete als Regisseur und ­Dramaturg in Deutschland und in den USA. Zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag schrieb er das Kammerspiel „Wanderers Nachtlied“ sowie den Porträtband „Möwen“ für die „Natur­kunden“ bei Matthes & Seitz.
Person Von Holger Teschke
Vita Der in Berlin und Sassnitz lebende Autor Holger Teschke, 1958 auf Rügen geboren, fuhr zur See, studierte Schauspielregie in Berlin und arbeitete als Regisseur und ­Dramaturg in Deutschland und in den USA. Zu Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag schrieb er das Kammerspiel „Wanderers Nachtlied“ sowie den Porträtband „Möwen“ für die „Natur­kunden“ bei Matthes & Seitz.
Person Von Holger Teschke