Die geangelte Wahrheit

Lügendetektortests entscheiden bei US-Wettangelevents darüber, ­ ob Preisgelder in Millionenhöhe an die Sieger vergeben werden oder nicht. Mogeln ist weit verbreitet – auch bei den Tests

Dies ist eine Geschichte der verschlossenen Türen, der verwehrten Zugänge, der Vermutungen und Wünsche, auch der Anmaßungen, hineinschauen zu können, in Räume ebenso wie in Köpfe. Wir sind nicht mit an Bord, als Tommy Hinkle am 8. August 2019 seinen Millionenfisch fängt. Wir stehen nur im Hafen von Ocean City. Wir wissen, dass der Wind mit zwölf Knoten aus Südwest weht und die meisten Angler deshalb an Land geblieben sind.

Tausende Zuschauer an der Mole, als er mit der Charteryacht „Fish Whistle“ vom Meer zurückkommt. Tommy am Bug posierend, damit er ein gutes Kamerabild abgibt. In Eis gepackt und in blaue Folie gewickelt, damit er nicht dehydriert und an Gewicht verliert, sein Fisch. Riesige Flatscreens übertragen das weigh-in, das Schauwiegen, in die hintersten Reihen. Als sein Fisch das „Vorwiegen“ besteht und dann am Flaschenzug vor aller Augen hochgehievt wird, raunt das Publikum. 79,5 Pfund! Tommy schlägt sich an den Kopf. Schwerer als angenommen! Handys werden gereckt, Mikrofone vorgehalten, Tommy erzählt, wie er da draußen mit dem Fisch gekämpft hat, dass er nervös war, ihn wieder zu verlieren; dass man keine Riesenyacht braucht, um einen Millionenfisch aus dem Wasser zu ziehen, sondern ein „durchschnittlicher Typ“ sein kann wie er, Mathematiklehrer an einer Highschool, verheiratet, Vater von zwei Töchtern, Häuschen mit Vorgarten. Er erzählt und erzählt, bis er heiser wird und nur noch strahlen kann, die Journalisten machen Fotos. Freitag Abend wird Tommy Hinkle offiziell zum Sieger der White Marlin Open erklärt, die Menge jubelt „­Hinkle! Hinkle!“. Das war gestern. Ein Mann sitzt an diesem Samstag­morgen im Foyer des „Clarion Hotel“ auf einer Couch, neben sich einen Koffer mit Blutdruckmanschette, Schweißerkennungsgerät, Puls- und Atemmesser. Die Beine überein­ander­geschlagen, blät­tert sich Daniel Baxter durch die Lokalzeitung, bis er an einer Schlagzeile hängen bleibt: „Sieg bei den White Marlin Open“, darunter Tommys 1,5-Millionen-Dollar-Strahlen. So hoch ist seine Siegprämie. Das größte Salzwasserangelturnier der Welt mit 400 Booten, 3500 Teilnehmern und insgesamt 6,1 Millionen Dollar Preisgeld entscheidet sich, wenn der Sekt schon getrunken, die Gratulationen ausgesprochen, das Siegerfoto in den Zeitungen erschienen ist. Nämlich jetzt, in einem schäbigen Hotelkasten am Coastal Highway, erster Stock, Konferenzräume vier und sechs. Niedrige Decken. Neonlicht. Vorhänge zugezogen. Beide Räume leer bis auf ein konfrontatives Arrangement in der Mitte: Tisch mit weißer Decke und zwei Stühlen.

An beiden Türen hängt draußen ein Schild: „Tournament Polygraph Testing, Quiet please!“ Psst, Lügendetektortest. Regel I.G Paragraf 5 der White Marlin Open, „Auszahlungsbedingungen des Preisgelds“: „Alle Angler, die 50 000 Dollar oder mehr gewonnen haben, können von der Turnierleitung aufgefordert werden, sich einem Lügendetektortest zu unterziehen“, um nachzuweisen, dass sie beim Angeln nicht betrogen haben.

Nur dann bekommen sie den Verrechnungsscheck.
Sieben Kandidaten sind einbestellt, unter anderen die drei Gewinner der Königsdisziplin „schwerster White Marlin“: Michael Wagner, Dachdecker aus Maryland, dritter Platz, 1,502 Millionen Dollar; Nathan Walker, Profiangler aus Virginia Beach, zweiter Platz, 135 000 Dollar, und Tommy Hinkle, Mathelehrer, erster Platz, 1,504 Millionen Dollar.

Sie alle haben am Vorabend eine Mail von der Turnierleitung bekommen, sich im „Clarion Hotel“, Coastal Highway 10100, Ocean City, MD 21842, entweder in Konferenzraum sechs oder vier einzufinden.

Zwei Männer werden ihnen dort Schweiß, Puls, Atmung, Blutdruck messen und dabei ein paar Fragen stellen: Daniel H. Baxter, 65, 7000 Lügendetektortests, seit 35 Jahren Polygraphen-Examiner, Vernehmungen für Strafver­folgungsbehörden und die US-Regierung; Schulungen in Ermittlungstechniken, Körpersprache und „nonverbaler Mikroexpression“, Raum sechs.
Mark P. Smith, 59, ehemaliger Strafverfolger und Detektiv, seit 15 Jahren Polygraphen-Examiner, 1000 Tests bei Mord, sexuellem Missbrauch, Betrug, ehelicher Untreue, „Detective of the Year 2003“, Seminare zum Thema „How to Spot a Liar“, Raum vier.

Dan Baxters Visitenkarte zeigt ein magisches Auge, darunter steht „Detecting Truth“, der Name seiner Firma. Mark Smith’ Visitenkarte zeigt die vielen bunten Kurven, sogenannte Graphen, nach denen die Geräte benannt sind: Polygraphen. Früher kritzelten Nadeln auf Millimeterpapier, heute schlängeln sich Linien über Computerdisplays. Die Messprotokolle von Körperfunktionen.

Lügen haben ein Muster, glauben die beiden Männer. Sollte Tommy betrogen haben, reagiert er auf eine Tatfrage binnen Sekundenbruchteilen. Adrenalin schießt aus der Neben­nieren­rinde. Herzfrequenz und Blutdruck steigen. Tommys Gehirn wägt in Millisekunden eigenes gegen fremdes Wissen ab: Was kann der Prüfer wissen, was nicht? Tommy muss antworten, plausibel und nachvollziehbar. Das Herz rast, die Atmung wird schneller, Schweiß perlt.

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mare No. 139

mare No. 139April / Mai 2020

Von Dimitri Ladischensky und Stefan Pielow

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, sollte für ein Schulfest 23 Forellen aus einem kommerziellen Angelteich angeln, brachte aber nur drei Stück zur Bezahlstelle, weil er die übrigen einem Komplizen durch den Zaun gereicht hatte. „Bitte schone die ­Klassenkasse!“, hatte ihn sein Lehrer angestiftet.

Stefan Pielow, geboren 1961, freier Fotograf in Starn­berg, hat früher in seiner westfälischen Heimat große Karpfen aus dem Teich eines reichen Großbauern ­namens Teichmann geangelt, während dessen Schäfer­hunde im Zwinger anschlugen und sich heiser bell­ten. Per Eimer verfrachtete er sie in den haus­eigenen ­Weiher, wo sie ein friedliches Dasein fristen sollten.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, sollte für ein Schulfest 23 Forellen aus einem kommerziellen Angelteich angeln, brachte aber nur drei Stück zur Bezahlstelle, weil er die übrigen einem Komplizen durch den Zaun gereicht hatte. „Bitte schone die ­Klassenkasse!“, hatte ihn sein Lehrer angestiftet.

Stefan Pielow, geboren 1961, freier Fotograf in Starn­berg, hat früher in seiner westfälischen Heimat große Karpfen aus dem Teich eines reichen Großbauern ­namens Teichmann geangelt, während dessen Schäfer­hunde im Zwinger anschlugen und sich heiser bell­ten. Per Eimer verfrachtete er sie in den haus­eigenen ­Weiher, wo sie ein friedliches Dasein fristen sollten.
Person Von Dimitri Ladischensky und Stefan Pielow
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, sollte für ein Schulfest 23 Forellen aus einem kommerziellen Angelteich angeln, brachte aber nur drei Stück zur Bezahlstelle, weil er die übrigen einem Komplizen durch den Zaun gereicht hatte. „Bitte schone die ­Klassenkasse!“, hatte ihn sein Lehrer angestiftet.

Stefan Pielow, geboren 1961, freier Fotograf in Starn­berg, hat früher in seiner westfälischen Heimat große Karpfen aus dem Teich eines reichen Großbauern ­namens Teichmann geangelt, während dessen Schäfer­hunde im Zwinger anschlugen und sich heiser bell­ten. Per Eimer verfrachtete er sie in den haus­eigenen ­Weiher, wo sie ein friedliches Dasein fristen sollten.
Person Von Dimitri Ladischensky und Stefan Pielow