Die Führungsfrage

Ohne ihre eingeborenen Helfer, Führer und Navigatoren wären die europäischen Entdeckungsseefahrer nicht weit gekommen

Fast immer sind einem nur die großen Namen im Kopf – von jenen Seefahrern, die hinaus auf die Ozeane segelten, um für ihre Auftraggeber unbekannte Inseln und Kontinente zu erkunden. Auf der Suche nach Terra incognita, nach den weißen Flecken der Erde, kamen sie dabei allerdings fast immer nur in Regionen, die längst von Menschen bevölkert waren. Neu und unbekannt waren diese Länder nur für die Reisenden aus Europa. Vielerorts griffen die Abenteurer auf das Wissen der Einheimischen zurück, engagierten sie als versierte Diplomaten, geschickte Übersetzer und sogar kundige Navigatoren.

Während sich die Namen der europäischen Seefahrer jedoch in unser historisches Gedächtnis eingebrannt haben und zu Heldenfiguren der Menschheitsgeschichte geworden sind, blieben ihre indigenen Helfer unbekannte Schattenfiguren. Längst ist vergessen und oft genug wurde unterschlagen, wie sehr erst die Indigenen einer europäischen Mission zum Erfolg verhalfen. Ohne sie – über die sich bedauerlicherweise oft nur sehr wenig herausfinden lässt – hätte manch ein „Entdecker“ sein Ziel nicht gefunden oder wäre nie von seiner Reise zurückgekehrt.


Ahmed Mesjid, befuhr mit Vasco da Gama den Indischen Ozean

Ende des 15. Jahrhunderts, als portugiesi sche Seeleute alle Küsten Afrikas erkundet haben, schickt das Königreich einen seiner besten Kapitäne einer neuen Küste entgegen, Vasco da Gama. Er soll einen Seeweg zum sagenhaften Gewürzland Indien finden. Anfang 1498 erreicht sein Schiff Ost afrikas Küstenstadt Malindi. Von dort aus muss er östlich über den Indischen Ozean segeln. Statt sofort ins Unbekannte aufzubrechen, sucht er vor Ort nach einem einheimischen Navigator. Tatsächlich gelingt es da Gama, einen kundigen Navigator anzuheuern, einen „arabischen Seefahrer“, wie es im Logbuch heißt. Handelt es sich um Ahmed Mesjid? Dieser weilt zu jener Zeit in der Hafenstadt und wäre der ideale Mann: Mesjid, um 1430 in eine Seefahrerfamilie in Schardscha geboren, kennt die Monsunwinde genau und ist hochgebildet. Er hat das Astrolab entscheidend verbessert, ein Buch über Navigation verfasst und eine präzise Seekarte erstellt, von der sich später ein Exemplar in Vasco da Gamas Gepäck befinden wird. Angeführt von ihrem „arabischen Seefahrer“, segeln die Portugiesen Ende April 1498 bei güns tigem Wind ostwärts und erreichen nach nur 23 Tagen die Küste von Kerala. Am 20. Mai gehen sie im Hafen von Calicut vor Anker. Zurück in Portugal, erhält da Gama für seine „Entdeckung“ den Titel „Admiral des Indischen Ozeans“. Über Ahmed Mesjid, der zwei Jahre nach der Reise stirbt, wird in Lissabon nicht viel gesprochen.


Enrique Melaka, Sklave, Dolmetscher, Überläufer und Magellans Mann

Enrique Melaka ist zwölf oder 13 Jahre alt, als Portugiesen 1511 die malaiische Küstenstadt Malakka erobern. Während dieses Überfalls wird der junge Mann von Ferdinand Magellan versklavt und nach Europa verschleppt, wo er auf den Namen Enrique getauft wird und Portugiesisch lernt. „Meinen selbst gefangenen Sklaven Enrique, Mulatte, gebürtig aus der Stadt Malakka“, heißt es in Magellans Testament, der darin auch festlegt, dass der junge Mann wieder frei sein solle, sobald er, Magellan, gestorben sei. 1519 nimmt der Seefahrer ihn mit auf eine Weltumsegelung. Unterwegs muss Melaka zwischen Spaniern und philippinischen Inselbewohnern übersetzen und Letztere immer wieder beruhigen, wenn sie vom Kanonendonner der spanischen Flotte verängstigt zu ihren Waffen greifen. Nach dem Mord an Magellan im April 1521 auf Mactan wäre Melaka frei. Doch der neue Kapitän Duarte Barbosa will nicht auf den Übersetzer verzichten und droht ihm mit Auspeitschung. Was dann geschieht, schildert der Chronist Antonio Pigafetta, eine der wenigen Quellen über Melaka. Der Sklave überredet der Darstellung zufolge einen Adeligen der Insel Cebu zu einem Komplott. „Er begab sich zum König und gab ihm den Rat, sich aller unserer Schiffe, Waren und Waffen zu bemächtigen, noch ehe wir wieder in See stachen.“ Es ist der 1. Mai 1521, als Melaka mit zwei Dutzend Europäern, darunter fast allen Kapitänen und Navigatoren, auf die Insel übersetzt. Der Herrscher hat sie zu einem Bankett eingeladen. Es ist eine Falle: An Land werden alle Weißen ermordet – nur Melaka überlebt.


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mare No. 137

No. 137Dezember 2019 / Januar 2020

Von Dirk Liesemer

Nach der Recherche fragte sich Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in München, wie viele Irrfahrten wohl unternommen worden wären, wenn die Kapitäne nicht auf das Wissen Einheimischer hätten zurückgreifen können. Schade nur, dass es so wenige Aufzeichnungen über diese Zuträger gibt.

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Vita Nach der Recherche fragte sich Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in München, wie viele Irrfahrten wohl unternommen worden wären, wenn die Kapitäne nicht auf das Wissen Einheimischer hätten zurückgreifen können. Schade nur, dass es so wenige Aufzeichnungen über diese Zuträger gibt.
Person Von Dirk Liesemer
Vita Nach der Recherche fragte sich Dirk Liesemer, Jahrgang 1977, freier Autor in München, wie viele Irrfahrten wohl unternommen worden wären, wenn die Kapitäne nicht auf das Wissen Einheimischer hätten zurückgreifen können. Schade nur, dass es so wenige Aufzeichnungen über diese Zuträger gibt.
Person Von Dirk Liesemer