Die fabelhaften Boote der Businessbarone

Wer sitzt schon gerne im Stau? Die Herren Chrysler, Morgan und Vanderbilt ließen sich per Dampfyacht chauffieren

Herr Mooney geht auf dem Weg zur Arbeit gern baden. So erwartet ihn „Rosemarie“ half past seven mit warmen Motoren am Steg in Long Islands Oyster Bay. Barfuß, in Morgenmantel und Badehose verlässt der General-Motors-Vize das Haus. Über den taufrischen Rasen seines Anwesens schlendert James D. Mooney hinüber zum Bootsanleger. An Bord dann beschäftigt er sich eine Weile mit der Post, wirft einen Blick in die Zeitung des Tages. Allright. Nach einigen Meilen auf dem Long Island Sound nimmt Chauffeur Johnson Fahrt aus der Meereslimousine und stellt die Motoren ab. Mooney lässt den Bademantel in den Rattansessel fallen und steigt die Leiter hinab ins Meer, um ein paar Züge unter den wachsamen Blicken der Besatzung zu schwimmen. Die restliche Fahrtzeit nach Manhattan nutzt der Pendler zu Rasur, Wäsche und Anlegen von Anzug und Schlips. Das Frühstück mundet, einige Züge aus der Montechristo, the miles slip by, dann gleitet „Rosemarie“ den East River hinab.

Die Pendler von Long Island rauschen zum Job. Sie kommen von den ansehnlichen Adressen Larchmonts, Mamaronecks, den idyllischen Wassergrundstücken weiter draußen in Connecticut, wo der Ahorn so schön groß ist, vom Oberlauf des Hudson, wo der elfte US-Bundesstaat New York nach Laub und Äpfeln duftet. In der Regel übersteigt die Zahl der Passagiere pro Schiff nicht die einer einzigen Person. Und damit diese sich nicht selber auf den Füßen steht, ist großzügig kalkuliert worden: Manche der Boote sind fast 100 Meter lang.

Wer am Steg des Montauk Yacht Club in Höhe der 52. Straße an Land geht, beim Columbia Yacht Club vor der 86. Straße aussteigt, am New York Yacht Club vor der 26. Straße im East River anbinden lässt, zählt zu den Kapitänen der Wirtschaft. Das Geschäft mit Baumwolle, Eisenbahnen, Geld, Immobilien, Kohle, Stahl, Autos, Schrott oder Waffen, dazu eine gute Konjunktur, niedrige Steuern oder gar nur das Geschick der Väter haben ihnen ungeheuren Reichtum beschert. Außerhalb der Geschäftszeiten brauchen die Businessbarone Platz – für Swimmingpools, Gartenlabyrinthe und Rasenplätze, Platz, den die Stadt nicht hat. So entstehen in den Jahren 1860 bis 1940 allein auf Long Island knapp 1000 Landhäuser. Für den Weg nach Manhattan und zurück bedarf es Boote, die die 30 oder 40 Meilen flott im Schraubenwasser hinter sich lassen. Ein Auftrag nach dem anderen geht bei den Werften in New York ein, an die 300 private Pendlerboote werden in dieser Zeit gefertigt.

Für die Herren Astor, Chrysler, Borden, Doubleday, Fokker, Ford, Ingersoll, Hearst, Morgan, Olds, Pulitzer, Winchester, Woolworth oder Vanderbilt ist das private Pendlerboot eine wassernahe Variante des Fliegens. Die ersten Commuter werden deshalb Flyer, später Business Boats genannt. In den heißen Sommermonaten ist die Fahrt über den Long Island Sound, den East oder Hudson River kühl und erfrischend.

Bei Nebel, Niesel oder Eis hingegen lassen sich die Tycoone bevorzugt im Franklin Phaeton oder Packard Twin Six über die Brooklyn-Brücke zum Broadway oder der Park Avenue chauffieren, direkt vor ihre Headquarters in den Häuserschluchten von Manhattan.

Einer der Pendelpioniere ist John Pierpont Morgan, der Mann, der einst verkündete: „Wer fragt, wie teuer eine Yacht ist, kann sie sich auch nicht leisten.“ Der Bankier hatte es noch nie nötig, danach zu fragen. Er findet Gefallen am Schippern, als er anno 1882 mit einer gemieteten Dampfyacht eine Mittelmeerkreuzfahrt macht. Von da an lässt er alle paar Jahre ein neues Schiff vom Stapel laufen. Sie heißen allesamt „Corsair“, sind pechschwarz gestrichen und so stattlich wie die Trusts, die Morgan schmiedet. Mit einer Länge von 93 Metern hat die dritte „Corsair“ das Format eines Großseglers wie die „Gorch Fock“. In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts entdeckt Morgan, dass sich seine Dampfer mit den Abmessungen von Staatsyachten nicht nur zu Kreuzfahrten eignen. Man kann darin auch zur Arbeit fahren. Oder Bekanntschaften beherbergen. Schon seit längerem gehen Mister und Mistress Morgan gemeinsam getrennte Wege. Da betrübt es kaum, dass die Dampfmaschinen nur Zeit raubende 19 Knoten zustande bringen. Stunden mit der Ehefrau können ihm ruhig gestohlen bleiben.

Wie sein Vater bevorzugt Jack Morgan die Musik entweichenden Wasserdampfs gegenüber dem Röhren der Explosionsmotoren, die zuhörends den Klang des Long Island Sound ausmachen. Keine Frage, der Mann, dessen Kredite unter anderem den Ersten Weltkrieg finanzieren, ist Romantiker. Die aufkommende Mode, aus der Fahrt zum Büro ein Wettrennen zu machen, degoutieren die Morgans als Plustergebärde der Neureichen. Mögen andere die Dampfmaschinen durch kräftigere Zeppelin- oder Flugzeugmotoren ersetzen – die Morgans feuern weiter mit Kohle.

Gependelt wird in allen Bundesstaaten der USA, wo es erstens Geld, zweitens Wasser gibt: in Miami, Boston, Detroit, Chicago, San Francisco und Seattle. Doch wo gibt es so viel Geld und Wasser wie rings um Manhattan? So entwickelt sich die spezifisch amerikanische Bootsklasse der Commuter vor allem in New York.


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mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Erdmann Braschos

Erdmann Braschos, Jahrgang 1962, ist selber einen Commuter-Nachbau gefahren und hat sich in die Kurven des Bootes so verguckt, dass ihm die Fahrt gar nicht langsam genug gehen konnte.

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Vita Erdmann Braschos, Jahrgang 1962, ist selber einen Commuter-Nachbau gefahren und hat sich in die Kurven des Bootes so verguckt, dass ihm die Fahrt gar nicht langsam genug gehen konnte.
Person Von Erdmann Braschos
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