Am Abend des 13. Oktober 1970 verändert die Welt. Zumindest für diejenigen, die um 20.15 Uhr das ZDF eingeschaltet haben. Was die Zuschauer zu sehen bekommen, sind Bilder, die man eigentlich nicht ertragen kann.
Das ZDF zeigt sie trotzdem. Kinder, verstümmelt und zerfetzt von Minen, zerschossene Gesichter ohne Mund und Nase, halb tote Körper, durchlöchert von Granaten. „Nur leichte Kämpfe im Raum Da Nang“ heißt der Dokumentarfilm von Hans-Dieter Grabe, eine Reportage über die Arbeit des deutschen Hospitalschiffs „Helgoland“ in Vietnam. Der Titel erinnert an Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“.
Wer den Vietnamkrieg bisher nur aus den immer gleichen Kurzberichten der Nachrichtensendungen kannte, ist nun geschockt. Noch nie hat ein deutscher Film, und das auch noch zur besten Sendezeit, so schonungslos über das unsägliche Leid der Opfer berichtet. Die minutenlange Großaufnahme einer Oberschenkelamputation, die bildschirmfüllende Einstellung des Jungen, dessen Arme und Beine abgerissen wurden – diese „erschütterndsten Bilder, die wohl je an deutschen Bildschirmen zu sehen waren“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem „Streiflicht“ schreibt, kommen zu einer Zeit, als der Krieg in Südostasien aus Mangel an spektakulären Neuigkeiten nur noch in den hinteren Zeitungsseiten stattfindet, wenn überhaupt.
Nach der Ausstrahlung erhält der Filmemacher Anrufe von wildfremden Menschen, die ihm gratulieren. Aufgewühlte Kollegen sprechen ihn an, um das gerade Gesehene zu verarbeiten. Die Frau des Bundespräsidenten ruft aufgrund des Filmes sogar eine Initiative gegen Landminen ins Leben. In jenem Herbst 1970 scheint der Vietnamkrieg auf einmal wieder ganz nah zu sein, zurück in den Wohnzimmern und Köpfen der Deutschen.
„Genau das wollte ich erreichen.“ 41 Jahre nach der Erstsendung seines Filmes sitzt er nun da, Hans-Dieter Grabe, in einem fensterlosen Konferenzraum des ZDF in Mainz. „Es war ein Film, der Stellung nahm, ein Antikriegsfilm.“ 74 Jahre ist er inzwischen alt, pensioniert nach 40 Jahren Arbeit bei dem Mainzer Sender, ein bescheidener, ruhiger Mann. Er sieht jünger aus, als er ist, und wenn er seine klaren, druckreifen Sätze spricht, spürt man die unbändige Leidenschaft für den Dokumentarfilm, diese Freude am Geschichtenerzählen.
Dutzende Filme hat er in seinem Leben gedreht, über das Grubenunglück von Lengede, über die Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki, über einen Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus. Und doch ist „Nur leichte Kämpfe im Raum Da Nang“ wohl sein wichtigster.
Grabe war 28 und Redakteur für besondere Aufgaben beim ZDF, als der Vietnamkrieg 1965 ausbrach. „Der Wunsch, nach Vietnam zu gehen, war naheliegend. Ich war acht Jahre alt, als unser Haus in Dresden bombardiert und zerstört wurde. Für mich hatte dadurch die Frage von Krieg und Frieden immer Bedeutung. Jetzt, zum ersten Mal, fand ein Krieg statt, an dem man als filmender Journalist teilhaben sollte.“
Aber wie konnte dieser Film aussehen? Eine Reportage, bei der dem Kameramann die Kugeln um die Ohren fliegen? Nein, das kam für ihn nicht infrage. „Denn solche Szenen sagen über die Beschaffenheit eines Krieges nichts aus“, sagt Grabe. „Es musste ein Film aus Sicht der Opfer sein.“ Als er schließlich von der „Helgoland“ erfuhr, hatte er sein Motiv gefunden. Das Hospitalschiff des Deutschen Roten Kreuzes lag im Auftrag der Bundesregierung in Südvietnam vor Anker und sollte verletzte Zivilisten verarzten. „Durch das Schiff war auf einmal ein Maßstab da. Ich konnte das, was dort passierte, durch den Blick der deutschen Ärzte und Schwestern verdeutlichen. Und ich war ganz nah dran an den Opfern.“
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Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, war beeindruckt, als er erfuhr, dass Ex-„Helgoländer“ 40 Jahre später noch immer einen Verein betreiben, der Kinder in Vietnam unterstützt. Sie informieren über ihre Arbeit unter www.vietnamhilfe.org.
Vita | Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, war beeindruckt, als er erfuhr, dass Ex-„Helgoländer“ 40 Jahre später noch immer einen Verein betreiben, der Kinder in Vietnam unterstützt. Sie informieren über ihre Arbeit unter www.vietnamhilfe.org. |
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Person | Von Jan Keith |
Vita | Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, war beeindruckt, als er erfuhr, dass Ex-„Helgoländer“ 40 Jahre später noch immer einen Verein betreiben, der Kinder in Vietnam unterstützt. Sie informieren über ihre Arbeit unter www.vietnamhilfe.org. |
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