Der Nasenbohrer

Ein sonderbares Werkzeug trägt der Sägefisch mit sich. Mit seiner meterlangen gezahnten Nase verteidigt er sich nicht nur, sondern spürt er auch seine Beute auf und fängt sie. Gegen seinen ärgsten Feind dagegen wird sie ihm zum Fluch

Wer als Kind mit der TV-Serie „Wi­ckie und die starken Männer“ sozialisiert wurde, er­innert sich vielleicht an die Folge, in der Zimmermann Tjure einem Sägefisch das Werkzeug abnimmt. Dessen Artgenossen rächen den Frevel, indem sie ein Wikingerboot nach dem anderen zu Kleinholz sägen, bis schließlich Wickie die gestohlene Säge zurückgibt und Frieden mit den Fischen schließt. 

Zoologisch gesehen ist das natürlich Unsinn, wie einem heute jedes fern­sehende Vorschulkind mit meeresbio­logisch korrekter „Oktonauten“-Sozialisa­tion sagen könnte. Das fängt damit an, dass Sägefische trotz ihrer nur wenig abgeplatteten Körperform zu den Rochen gehören. Als solche besitzen sie gar keine richtigen Schuppen, sondern nur Placoiden, kleine Hautzähnchen, die ihnen eine Oberfläche wie Sandpapier geben. 

Sägerochen, die Zoologen nach neu­ester Nomenklatur in fünf verschiedene Arten unterscheiden, bewohnen küstennahe Gewässer tropischer und subtropischer Meere. Jungtiere mancher Arten ziehen allerdings in Flüsse, wo sie ihre ersten Jahre in reinem Süßwasser verbringen. Im Amazonas wurde Pristis pristis, der Gewöhnliche Sägefisch, schon mehr als 1300 Kilometer flussaufwärts gefangen. Und im durch den Río San Juan mit dem Karibischen Meer verbundenen Nicaraguasee, aus dem die Art heute vermutlich verschwunden ist, paarten sich die Tiere sogar im Süßwasser. 

Allen Vertretern der Fischfamilie gemein ist das zahnbewehrte Rostrum, eine nasenartige Verlängerung des knorpeligen Schädels, die rund ein Viertel der Körperlänge ausmacht. Und die kann ordentlich lang sein. Der Gewöhnliche Sägefisch erreicht durchaus eine Länge von sieben Metern, was ihn zum drittgrößten Fisch der Welt macht, nach Walhai und Riesenhai. Doch selbst die Zwei-Meter-Säge ­solcher Prachtexemplare taugt kaum zum Versenken von Wikingerschiffen. Wozu aber ist sie dann gut? 

Diese Frage beschäftigt Naturforscher, seit Plinius der Ältere in der Antike die damals vermutlich noch regelmäßig im Mittelmeer zu findenden Tiere auf den Namen serra marina – Meersäge – taufte. In mittelalterlichen Bestiarien finden sich die Tiere in Gesellschaft von allerlei Fabelwesen. Und auch später dominieren wilde Spekulationen das Bild der in europäischen Gewässern schon immer raren Tiere. „Er soll einer der wüthendsten Feinde der Wale sein, sie von unten angreifen, mit seiner gewaltigen Waffe ihnen den Bauch aufreißen und zerschneiden, unter fürchterlichen Schlägen und Toben im Wasser stundenlang kämpfen und die Walstatt erst verlassen, wenn er den Feind erlegt oder im Kampfe seine Waffe verloren“, zitiert Alfred Brehm in seinem „Thierleben“ von 1884 einen Hamburger Gewährsmann, dem er allerdings eine „rege Einbildungskraft“ attes­tiert. 

Mit seinen eigenen Mutmaßungen liegt Brehm dagegen goldrichtig: „Die Stellung des Maules und das Gebiß deuten weit eher als auf derartige Kämpfe darauf hin, daß der Sägefisch nach Art anderer Rochen nahe am Boden lebt und hier auf kleine Fische, Krebse, Weich­thiere und dergleichen jagt.“ 

Dass die Säge dabei eine Rolle spielt, vermutete schon Brehm. Sie ist mit spitzen Zähnen besetzt, die sich grundlegend von jenen im Maul der Tiere unterscheiden: Das sogenannte Revolvergebiss von Haien und Rochen lässt sich entwicklungsbiologisch auf spezialisierte Hautzähne zurückführen, die regelmäßig ausfallen und durch von hinten nachwachsende Zähne ersetzt werden. 

Die Zähne auf der Säge eines Sägerochens dagegen erneuern sich wie ein Fingernagel ein Leben lang von der Basis her. Darin unterscheiden sie sich von den Hautzähnen auf der Säge von Sägehaien, einer Gruppe von relativ kleinen, in größeren Tiefen lebenden Haien, die einem Sägerochen auf den ersten Blick recht ähnlich sehen. Dennnoch muss man kein Zahnarzt sein, um die beiden Gruppen auseinanderzuhalten. Sägehaie sind auf den ersten Blick an den seitlich am Kopf sitzenden Kiemenöffnungen zu erkennen.

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mare No. 164

mare No. 164Juni / Juli 2024

Von Georg Rüschemeyer

Als Teenager war Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Autor in Freiburg, Extremaquarianer. Mehr als ein Dutzend Aquarien mit seltenen tropischen ­Fischen standen zeitweise in seinem Zimmer. Für ­einen Sägefisch hätten Taschengeld, elterliche ­Geduld und Platz allerdings nicht gereicht.

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Vita Als Teenager war Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Autor in Freiburg, Extremaquarianer. Mehr als ein Dutzend Aquarien mit seltenen tropischen ­Fischen standen zeitweise in seinem Zimmer. Für ­einen Sägefisch hätten Taschengeld, elterliche ­Geduld und Platz allerdings nicht gereicht.
Person Von Georg Rüschemeyer
Vita Als Teenager war Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, Autor in Freiburg, Extremaquarianer. Mehr als ein Dutzend Aquarien mit seltenen tropischen ­Fischen standen zeitweise in seinem Zimmer. Für ­einen Sägefisch hätten Taschengeld, elterliche ­Geduld und Platz allerdings nicht gereicht.
Person Von Georg Rüschemeyer