Der König der Wale

Noch mit seinen 92 Jahren bleibt der Bremerhavener Walforscher und Tierpräparator Günther Behrmann seinem Lebensthema treu

Ein bürgerliches Wohnzimmer im sechsten Stock eines Wohnhauses in Bremerhaven-Geestemünde. Der Kaffeetisch ist gedeckt. Nebenan steht ein Flügel. Darunter liegt ein ausgestopfter Seehund. 

Hier, in einer Wohnung über den Dächern der Stadt, wohnt der Präparator und Walforscher Günther Behrmann mit seiner Frau Gudrun. Die Wohnung liegt fußläufig vom historischen Baumwollschuppen am Handelshafen, was praktisch ist, wenn man sich gern erinnert. Dieser rote Backsteinbau mit der Kaje davor ist untrennbar mit Behrmann verbunden. Hier war einst das Institut für Meeresforschung beherbergt, wo Behrmann im Obergeschoss das Nordseemuseum aufgebaut hat. Heute ist das Alfred-Wegener-Institut dort Hausherr. 

Günther Behrmann ist Jahrgang 1932. Er grüßt mit einem fröhlichen Lachen; sein Bart, der an den des berühmten Verhaltensforschers Konrad Lorenz erinnert, wippt munter. Seine Frau schenkt Kaffee ein. Er selbst ist gleich mitten im Erzählen. Seine Stimme ist kichernd, oft fast schelmisch. „Warte mal“, sagt er häufig. Und: „Jetzt kommt’s!“

Kaum sind die Küchlein verspeist, drängt Behrmann zum Aufbruch. Der 92-Jährige steigt, schimpfend auf das Schwinden seiner Kräfte, die Treppe hinauf bis unter das Dach. Da ist sein Reich. Er nennt es sein „Walforschungszentrum“, hier stört ihn niemand. Ein ausgestopfter Pinguin, der einen zu be­ob­achten scheint, eine Schildkröte auf dem Regal, ein konserviertes Delfinbaby im Glas. Unter der Decke schwebt das Skelett eines Zwergwals.

Behrmann, der zusammen mit Filmemacher Alexander Kluge das Mathema­tikum in Halberstadt besuchte, wusste früh, was er wollte. Der junge Günther war zehn, als er eher zufällig ins Halberstädter Museum kam und dessen Leiter kennenlernte. Es war die Zeit, als die ersten Bomben fielen und die Erwachsenen keine Zeit für Museen hatten. „Außer dem Direktor und seiner Reinemachefrau war keiner da, der helfen konnte.“ Der Junge blieb und machte mit. 

Es war Ende 1944 oder Anfang 1945, als aus dem Hobby ein fester Vorsatz wurde. Das war an dem Tag, als seine Klasse einen Ausflug ins Museum machte. Der Museumsdirektor begrüßte die Schüler. Und dann sagte er: „So, den Rest macht jetzt Günther. Der führt euch durch die Sammlung.“ – „Unserem Lehrer fiel der Unterkiefer runter“, erinnert sich Behrmann. „Aber zum Schluss musste er zu­geben, dass ich das konnte.“ An dem Abend sagte Günther zu seiner Mutter: „Ich ­werde Museumsleiter.“ Da war er zwölf, der Weg war vorgezeichnet. 

Es folgte eine Ausbildung zum Präparator, dazu eine Lehre als Bildhauer und Plastiker. Zwei Gesellenprüfungen. Die Flucht in den Westen. 1960 kam Behrmann an das Institut für Meeresforschung, wo er als Präparator anfing und 1972 Museumsleiter wurde.

Das Museum in Bremerhaven war aus der Schausammlung des Instituts für Seefischerei hervorgegangen, das vor allem  Meerestiere zeigte, die Fischer mitgebracht hatten. Nach der Zerstörung im Krieg eröffnete das Land Bremen 1948 an gleicher Stelle das Institut für Meeresforschung, das vier Jahre später auch wieder eine Schausammlung bekam. Daraus schuf Behrmann das Nordseemuseum. Sebastian Gerlach, ein renommierter Zoologe, ermöglichte als Direktor des In­stituts einen neuen Schwerpunkt. Die Sammlung wurde nach biologischen Kriterien gestaltet. Die Erkenntnisse der Wissenschaft wurden dadurch erlebbar. 

Für Bremerhaven gehörte das Museum schnell zu den Highlights. Wohl jeder, der vor 1999 in der Seestadt zur Schule gegangen ist, kennt es. Rund 300 Schulklassen, 35 000 Besucher im Jahr, zählte das Museum zu besten Zeiten. Viele Klassen kamen immer wieder, und mit jedem Schuljahr wurde das Verständnis für den Lebensraum Meer tiefer. Während die Kleinen sich noch am kunstvoll gebauten Modell von Ebbe und Flut begeistern konnten, lauschten die Oberstufenschüler dem sphärisch an­mu­ten­den Gesang der Wale. Andere rätselten über die Anatomie der ausgestopften Seekuh oder tauchten hinter einem Vorhang ins Tiefseediorama mit den kunstvoll präparierten Laternenfischen, Seewölfen und Monsterkrabben. 


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mare No. 164

mare No. 164Juni / Juli 2024

Von Cornelia Gerlach und Dmitrij Leltschuk

Der Vater von Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ­Autorin in Berlin, war Direktor des Instituts für Meeresforschung, wo Behrmann das Museum leitete.

Dmitrij Leltschuk, geboren 1975, Fotograf in Hamburg, bekam nach getaner Arbeit ein Abschiedsgeschenk von Behrmann: einen versteinerten Seeigel.

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Vita

Der Vater von Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ­Autorin in Berlin, war Direktor des Instituts für Meeresforschung, wo Behrmann das Museum leitete.

Dmitrij Leltschuk, geboren 1975, Fotograf in Hamburg, bekam nach getaner Arbeit ein Abschiedsgeschenk von Behrmann: einen versteinerten Seeigel.

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Der Vater von Cornelia Gerlach, Jahrgang 1960, ­Autorin in Berlin, war Direktor des Instituts für Meeresforschung, wo Behrmann das Museum leitete.

Dmitrij Leltschuk, geboren 1975, Fotograf in Hamburg, bekam nach getaner Arbeit ein Abschiedsgeschenk von Behrmann: einen versteinerten Seeigel.

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