Der Havariekommissar

Wenn in der Karibik Schiffe kollidieren oder sinken, rückt Frank Bolle aus. Er ist der Gutachter des Unglücks

Feuer im Maschinenraum! Die Männer von der Nachtschicht schließen alle Ventile und schalten die Ventilatoren aus. „Luken dicht!“, hallt es. Die Karibikkreuzfahrt der „Vistamar“ findet unter dem Sternenhimmel zwischen Tobago und Martinique ein jähes Ende. In den Gängen und Kabinen heulen die Sirenen. 300 deutsche und österreichische Rentner springen erschrocken aus den Kojen. Während die Kreuzfahrtgäste bald zitternd in ihren Rettungswesten an den Booten stehen, gelingt es der Crew, den Brand zu löschen. Mit der zweiten Maschine steuert das spanische Schiff nun den nächsten Hafen an.

Nur wenige Stunden später geht in Cartagena, an Kolumbiens Karibikküste, das Telefon. Denn das ist ein Fall für den 52-jährigen deutschen Schiffbauingenieur Frank Bolle. Der wohl genährte Rheinländer sitzt in seinem nüchternen, klimatisierten Büro und greift mit ruhiger Hand zum Hörer – wie immer in freudiger Erwartung. Denn sobald in der Karibik Schiffe brennen, kollidieren oder sinken, steht der deutsche Experte ganz oben auf der Telefonliste der internationalen Versicherungsgesellschaften: „Havariekommissar Bolle, übernehmen Sie!“

Er macht das gerne. „Die schönsten Havarien sind eigentlich die mit CTL – constructive total loss“, schwärmt Bolle, der 23 Jahre Erfahrung als Sachverständiger für Schiffsunglücke vorweisen kann. Ein Totalschaden nach seinem Geschmack war beispielsweise die Havarie der „Sun Dancer“: „Vor der Hafeneinfahrt von Barranquilla hatte der Frachter in schwerer See Ladung verloren. Und die durchbohrte im Wellengang die Außenwand des Schiffes“, erzählt Bolle. Der Kapitän des deutschen Frachters lag zur Zeit des Unglücks sturzbetrunken in der Koje.

Als Frank Bolle Pier 1 erreichte, lag der „Sonnentänzer“ bereits mit schwerer Schlagseite nach Backbord im flachen Hafenbecken. „Der Laderaum war vollgelaufen, und Diesel drang aus. Etliche Container schwammen umher und blockierten die Hafeneinfahrt. Alle Lukendeckel lagen im Wasser, und eine Armee von kolumbianischen Bürokraten hatte sich bereits versammelt, um das Schauspiel zu genießen.“ Bereits nach seiner ersten Inspektion war dem Havariekommissar klar: „Zahlen und gleich aussteigen. CTL! Schaden und Bergungskosten übersteigen die Kaskosumme.“

Die Versicherung war zunächst gar nicht angetan von dem vernichtenden Urteil ihres Vertrauensmanns in Nordkolumbien. „Später waren sie jedoch heilfroh“, erinnert sich Bolle heute mit Genugtuung. „Denn als der Hafenkapitän die voll gelaufenen Container am nächsten Tag öffnen ließ, musste er feststellen, dass zwischen dem für die USA bestimmten Geflügelfleisch drei Tonnen bestes kolumbia nisches Kokain gekühlt wurden.“ Der Frachter wurde umgehend beschlagnahmt, erst Monate später aufwendig gehoben und an eine abgelegene Mole geschleppt. Dort liegt er noch heute, seit mittlerweile elf Jahren, mit Schlagseite nach Backbord.

Der Versicherer war damals mit 850000 Dollar draußen, doch Bolle blieb dabei. Denn der in Köln geborene Diplomingenieur ist gleichzeitig Honorarkonsul Deutschlands in Cartagena. Und der deutsche Kapitän des Containerfrachters hatte bei seiner Vernehmung durch die kolumbianische Polizei diplomatischen Beistand bitter nötig, denn er konnte weder erklären, warum sein Schiff gesunken war, noch, woher das Kokain kam. „Dem stand das Wasser bis zum Hals. Auch weil das Logbuch verschwunden war.“

In Barranquilla, nicht weit von Cartagena, kommt Bolle noch heute gelegentlich an der „Sun Dancer“ vorbei. Hinter Paletten und Förderbändern steckt sie bis heute stumm im Schlick. Schlaff fallen ihre Leinen aus den Augen im Bug. Rost und Splitter blauen Lacks säumen das Wrack. Hafenpiraten haben das Schiff auch von innen völlig ausgeschlachtet. Kurzum, ein erbärmlicher Anblick.


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mare No. 49

No. 49April / Mai 2005

Von Peter Korneffel und Stephen Ferry

Autor Peter Korneffel lebte mehrere Jahre in Cartagena.

Auch Fotograf Stephen Ferry besuchte die kolumbianische Hafenstadt regelmäßig.

Für ihre Reportage wünschte ihnen Bolle eine „wunderschöne Havarie“, aber weil es dazu nicht kam, lernten die Reporter vor allem die zweite Leidenschaft des Kommissars kennen: gute Geschichten und feines Essen.

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Vita Autor Peter Korneffel lebte mehrere Jahre in Cartagena.

Auch Fotograf Stephen Ferry besuchte die kolumbianische Hafenstadt regelmäßig.

Für ihre Reportage wünschte ihnen Bolle eine „wunderschöne Havarie“, aber weil es dazu nicht kam, lernten die Reporter vor allem die zweite Leidenschaft des Kommissars kennen: gute Geschichten und feines Essen.
Person Von Peter Korneffel und Stephen Ferry
Vita Autor Peter Korneffel lebte mehrere Jahre in Cartagena.

Auch Fotograf Stephen Ferry besuchte die kolumbianische Hafenstadt regelmäßig.

Für ihre Reportage wünschte ihnen Bolle eine „wunderschöne Havarie“, aber weil es dazu nicht kam, lernten die Reporter vor allem die zweite Leidenschaft des Kommissars kennen: gute Geschichten und feines Essen.
Person Von Peter Korneffel und Stephen Ferry