Der Fellini des Meeres

Der Abenteurer der Meere, der Millionen Menschen ein Bewusstsein für das Meer verschaffte, war eine höchst ambivalente Figur: einer­seits ein en­ga­gier­ter Naturdokumentar, andererseits ein Meeres­schützer, dem Staatsräson zuweilen den Blick verstellte

Warum fällt es heute so schwer, über Jacques-Yves Cousteau zu schreiben? Über die Frage, was, fast 17 Jahre nach seinem Tod als sehr alter Mann in Paris, von ihm bleibt? Auf den ersten Blick ist das doch viel: mehr als 50 Bücher, vielfach ausgezeichnete Filme. Seine berühmte Fernsehserie „Geheimnisse des Meeres“, in der er mit seinem Schiff „Calypso“ die Unterwasserwelt diverser Ozeane, Flüsse und sogar eines Sees entdeckte – in den 1970ern ein Straßenfeger. Für bestimmte Jahrgänge ist Cousteau unvergessen. Aber zeigte man Jugendlichen heute ein typisches Cousteau-Foto, diesen Mann mit dem wettergegerbten, schmalen, expressiven Gesicht und der roten Wollmütze auf dem Kopf: Würden sie ihn erkennen? Wohl kaum.

Waren seine Expeditionen in die Tiefen der Meere nur populär oder auch wissenschaftlich relevant? Wie tragend waren seine Erfindungen? Können wir ihn als hehren Umweltschützer in Erinnerung behalten oder müssen wir ihm einige Tierquälereien vorwerfen?

Ein Anruf in den tiefen Süden Deutschlands, dort sitzt Professor Hans Fricke, ein Meeresbiologe, der selbst viel mit seinem Mini-U-Boot „Jago“ unterwegs war, dem Quastenflosser hinterherjagte und dabei filmte. Frickes wissenschaftliche Anerkennung ist unumstritten, und er kannte Jacques Cousteau als Zeitgenossen.

Sofort kommt der Professor ins Schwärmen, als wir über Cousteaus Film „Die schweigende Welt“ von 1956 sprechen. Wie die Tauchergruppe mit Unterwasserfackeln in die dunkle Tiefe glitt, „das war der Hammer“. Geboren 1941, war Fricke bei der Premiere des Filmes ein Jugendlicher. Cousteau entfachte mit seinen Filmen die Sehnsucht von Millionen, auch in diese Unterwasserwelt vorzudringen. „Er hat das Meer zum Erlebnisraum gemacht“, sagt Fricke. Das bleibe ein riesiges Verdienst. Gut, aber was ist mit seinen vielen wissenschaftlichen Versuchen? „Die meisten waren schlecht“, urteilt Fricke. Sie hätten keinen großen Einfluss gehabt. Und Cousteaus Erfindungen? Es sei manche Pionierleistung dabeigewesen.

Cousteau ist nicht leicht zu greifen, dafür war er zu umtriebig. Und zu sehr Autodidakt. Er erforschte das Meer, aber er war kein Meeresforscher. Er erfand Unterwasserwelten, aber er war kein Ingenieur. Er drehte aufregende Filme, aber er bezeichnete sich nie als Künstler. Er war Unternehmer, aber er hatte zu Geld ein eher chaotisches Verhältnis. Was er auf jeden Fall besaß, war ein Sinn für den Zeitgeist. Aber er hatte auch Glück. Der Zeitgeist kam ihm entgegen.

Das Rampenlicht war greller als erwartet“, schreibt sein ältester Sohn Jean-Michel Cousteau in seinem Buch „My Father, The Captain“. Seine Fernsehserie „The Undersea World of Jacques Cousteau“ war sofort ein Erfolg. Im Januar 1968 begann der Fernsehsender ABC mit der Ausstrahlung – und schrieb Quotengeschichte. Die verwöhnte US-Fernsehnation hing gebannt am Bildschirm. So leicht und spannend zugleich war ihr die fremde Tiefseewelt noch nie erzählt worden. Kritiker loben die Vertrautheit, die sich im Lauf der 60 Minuten einstelle. „Am Ende der Sendung ist jeder Zuschauer ein Freund von Kapitän Cousteau, seiner Crew und dem Hund.“

Zum Zeitpunkt dieses Erfolgs ist Cousteau schon 57 Jahre alt. Wie fing es an mit ihm und dem Meer? Der Sohn eines Anwalts und einer Hausfrau wächst bei Bordeaux auf. „Ich fand es immer lustig“, schreibt sein ältester Sohn, „dass die Familie meines Vaters fast nichts mit dem Meer zu tun hatte.“ Mit zwölf kommt Cousteau zu seiner ersten Neun-Millimeter-Kamera, von der er später sagt, sie habe ihm geholfen, seine Schüchternheit zu überwinden. Besonders bei Mädchen. Die Kamera ist da, das Meer noch fern. Ein guter Schwimmer war der junge Cousteau nicht. Trotzdem will er Marineoffizier werden.

Die späteren Bilder des lässigen, sehr zivilen Cousteau auf seiner „Calypso“ haben den Offizier in weißer Uniform fast verdrängt. Dabei trat Cousteau schon 1933 in die Kriegsmarine ein, nachdem er zuvor die Seefahrtschule in Brest besucht hatte. Zwei Jahrzehnte lang sollte die Marine sein Leben prägen. Und mit Simone heiratet er eine Frau, die aus einer französischen Admiralsfamilie stammt. Seine ersten Tauchgänge unternimmt er in seiner Freizeit. Tauchen ist damals Mode unter Marinesoldaten. Man baut sich Ausrüstung selbst, sonderbare Schnorchel und Harpunen, denn noch wird die Tauchwelt von Helmtauchern beherrscht, die mit Gewichten an den Füßen über den Meeresboden stapfen, während ein Schiff sie „durch eine Nabelschnur“ mit Atemluft versorgt, wie Cousteau schreibt. Den Ästheten stört die Plumpheit dieser Tauchmonster. Er beginnt zu experimentieren.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Susanne Leinemann

Als Schülerin hat die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, ein Austauschjahr in Puerto Rico verbracht. Dort entdeckte sie die farbenfrohe Wasserwelt der Karibik. Und erinnert sich noch halb entzückt, halb gruselnd daran, wie das Riff plötzlich endete und sich unter ihr die dunkle Tiefe auftat.

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Vita Als Schülerin hat die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, ein Austauschjahr in Puerto Rico verbracht. Dort entdeckte sie die farbenfrohe Wasserwelt der Karibik. Und erinnert sich noch halb entzückt, halb gruselnd daran, wie das Riff plötzlich endete und sich unter ihr die dunkle Tiefe auftat.
Person Von Susanne Leinemann
Vita Als Schülerin hat die Berliner Autorin Susanne Leinemann, Jahrgang 1968, ein Austauschjahr in Puerto Rico verbracht. Dort entdeckte sie die farbenfrohe Wasserwelt der Karibik. Und erinnert sich noch halb entzückt, halb gruselnd daran, wie das Riff plötzlich endete und sich unter ihr die dunkle Tiefe auftat.
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