Das wunderbare Wirken des Planktons

Öl glättet die Wellen. Das wissen auch die Mikroorganismen, die sich vor gefährlichen Brechern schützen müssen

Immer, wenn es hoch hergeht, gilt es, die Wogen zu glätten. Dieses sprachliche Bild hat seinen Ursprung in einem natürlichen Phänomen: Wo immer sich auf dem Meer größere Oberflächenfilme bilden, sorgen sie dafür, dass sich die Wellen beruhigen. Das wundersame Wellenplätten haben Menschen schon vor langer Zeit beobachtet. Und auch gezielt genutzt, obwohl es dafür bis vor kurzem noch keine Erklärung gab.

Perlentaucher nahmen früher mit Pflanzenöl getränkte Schwämme in den Mund und tauchten damit hinab zu den Muschelbänken. Unten angelangt, bissen sie auf den Schwamm, woraufhin wenige Tropfen des Öls entwichen und nach oben stiegen. Denn Öl ist leichter als Wasser. Der Effekt: Es bildete sich ein Oberflächenfilm, die kleinen Kabbelwellen ebneten sich merklich, und die Sonnenstrahlen schienen weitaus weniger zerstreut durch das nunmehr ruhige Wasser – die Sicht auf die Muscheln am Meeresboden verbesserte sich. Ein einfacher Trick. Und den Effekt kennt jeder vom Schwimmbad: Ist das Wasser bewegt, brechen sich die Strahlen vielfach und verursachen ein Flackern auf dem Poolboden. Ist das Wasser dagegen spiegelglatt, sind sogar die Fugen der Kacheln von oben klar zu erkennen.

Auch der amerikanische Staatsmann und Schriftsteller Benjamin Franklin beschäftigte sich mit der Nivellierung der Wellen. Als er 1757 eine Seereise machte, beobachtete er, dass die Kielspur eines der Geleitschiffe deutlich ruhiger war als die des seinen. „Wie kommt das?“, fragte er. „Der Koch hat sein Spülwasser über Bord gekippt“, antwortete der Kapitän. Derart mit Wissen bereichert, beeindruckte Franklin fortan Freunde und Bekannte. Der eloquente Politiker führte nun in einer kleinen Kammer seines Gehstocks – in der alte Männer früher ihre Medizin verstauten – stets eine kleine Menge Olivenöl mit. Sobald er an einen See kam, rief er herausfordernd: „Ich werde euch beweisen, dass man Unglaubliches wahr machen kann!“ Er goss ein paar Tropfen des Öls in den See, und siehe da, das vom Wind aufgeriebene Wasser wurde über große Flächen glatt wie ein Kinderpopo, und Franklin dozierte mit stolz geschwellter Brust über die Möglichkeiten im Leben, Unmögliches möglich zu machen.

Hundert Jahre später wollte ein schottischer Geschäftsmann das Prinzip zu Geld machen. Er ließ sich 1879 eine Erfindung patentieren, mit der man bei Sturm vor Hafeneinfahrten die See beruhigen konnte. Am Grund befestigte Pumpen stießen eine ölhaltige Substanz aus, die für kurze Zeit die Wellen beruhigte und somit heimkehrenden Booten das Einlaufen erleichterte.

Was steckt nun hinter diesem kuriosen Ereignis, wenn mit wenigen Tropfen Öl ein Ozean beruhigt wird?

Viele Seefahrer und Fischer haben schon mal Oberflächenfilme auf dem Meer beobachtet, die offenbar nicht von Menschenhand verursacht waren. Besonders bei starken Winden war das Wasser über weite Flächen von so genannten Slicks bedeckt. Erst als die Meeresforscher die dünnen Wasserteppiche in den siebziger Jahren untersuchten, kamen sie dem maritimen Rätsel auf die Spur. Nach der Analyse von Proben fanden die Wissenschaftler heraus, dass die oberste Wasserschicht nach einem Sturm verstärkt so genannte Carbon- und Palmitinsäureester beinhaltet. Sie verleihen dem Wasser eine ölige Konsistenz. Woher aber stammen diese Substanzen, wenn weder Mineralöle noch andere verklappte Stoffe dafür in Frage kamen?

In den folgenden Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass für die Bildung dieser Oberflächenfilme das Plankton verantwortlich ist. Sobald das Meer durch Wind in Bewegung gerät und kleine Wellen entstehen, sondern die bis zu einem Mikrometer kleinen Schwebeteilchen verstärkt eine palmitinsäurehaltige Substanz aus. Als Folge bilden sich zunächst Flecken von mehreren Metern Durchmesser auf dem Wasser. Sie breiten sich innerhalb von zwei Stunden flächendeckend aus und umfassen dann ein Gebiet von über 1000 Quadratkilometern.

Die Bedeutung dieses erstaunlichen Phänomens zeigt sich erst bei der Zusammenarbeit von Wellenforschern und Chemikern. Professor Heinrich Hühnerfuß, Ökochemiker des Instituts für Organische Chemie der Universität Hamburg und Fachmann für natürliche Oberflächenfilme, sieht darin einen einzigartigen Selbstschutzmechanismus der Natur, den er folgendermaßen erklärt: Vor allem die kleinen, steilen Wellen können wegen ihrer hohen Energie Planktonteilchen regelrecht zermalmen. Sobald also Wind aufkommt und Wogen auftreibt – dies geschieht schon bei geringen Windstärken – sondert das Plankton Schleim aus, um eine dämpfende Schicht aufs Wasser zu legen.

Anders als Mineralöle, die eher dicke, klebrige und träge Teppiche bilden, wirken die Ausscheidungen des pflanzlichen und tierischen Planktons wesentlich effizienter. Strandspaziergänger kennen sie als Schaumberge am Spülsaum des Wassers. Durch den besonderen Aufbau von Kohlenstoff- und Wasserstoffmolekülen kann sich diese natürliche Substanz extrem schnell über weite Flächen ausbreiten. Die chemische Struktur der ausgeschiedenen Stoffe bietet die energetisch günstigste Anordnung, um mit einer nur ein Molekül dicken Schicht weite Meeresflächen zu bedecken. Als die Forscher nur geringe Mengen der Substanz aus einem Helikopter in die Nordsee kippten, beobachteten sie zuerst kleine Flecken. „Doch schon nach anderthalb Stunden war fast die gesamte Deutsche Bucht von einem glättenden Oberflächenfilm bedeckt“, berichtet Professor Hühnerfuß. Beobachtungen von Satelliten und Forschungsschiffen bestätigten dies. Das Plankton schützt sich folglich selbst, indem es turbulente Wogen durch die Bildung natürlicher Oberflächenfilme dämpft.

Ein Geniestreich der Natur. Das Plankton bewahrt auf diese Weise nicht nur seine eigene Existenz. Auch in Korallenriffen spielen die winzigen Schwebeteilchen eine lebenserhaltende Rolle. Ein australischer Forscher beobachtete, dass bei Aufkommen eines Sturms vermehrt glättende Oberflächenfilme entstehen und diese das gesamte Riffsystem vor der Zerstörung durch die Wellenkraft bewahren.


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mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

Von Marc Bielefeld und Marc Steinmetz

Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, arbeitet als Redakteur der Hamburger Zeitschrift fit for fun. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

Der Fotograf Marc Steinmetz, 1964 geboren, lebt in Hamburg. In mare No. 14 erschienen seine Fotos von den Lotsenschiffern in der Deutschen Bucht

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Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, arbeitet als Redakteur der Hamburger Zeitschrift fit for fun. Dies ist sein erster Beitrag in mare.

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