Das unreine Gewissen

Ölkatastrophen zerstören Leben, und das lastet auf dem Menschen. Mit dem Waschen verölter Seevögel glaubt er, Buße zu tun

Amrum, November 1998. An den Stränden der nordfriesischen Ferieninsel kommt es zu hochdramatischen Szenen, die aus der Distanz fast komisch wirken. Aus dem brennenden Holzfrachter „Pallas", der etwa sechs Seemeilen südwestlich von Amrum auf Grund sitzt, laufen Diesel- und Schweröl aus. Hunderte verölter Eider- und Trauerenten versuchen, sich an den Strand zu retten. Dort werden sie schon erwartet. Von Jägern - und Wäschern.

Eine bizarre Situation, die aber lediglich widerspiegelt, was weltweit - und nicht ohne Heftigkeit - diskutiert wird: Handelt tierlieb und im Sinne des Tierschutzes, wer verölte Vögel wäscht, pflegt und wieder freilässt? Oder ist das bloß gut gemeinte Tierquälerei? Ist Abschießen der wahre Naturschutz?

Der Vogel als Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Kein Wunder, dass uns der Öltod bei keiner anderen Tierart so stark bewegt wie bei den Vögeln. Wir werden die Bilder nicht los von den in zähes schwarzes Öl getauchten, hilflosen Seevögeln, die nach Schiffsunfällen massenhaft tot oder völlig geschwächt an den Küsten stranden.

Dabei sind von der weltweiten Ölpest auch viele andere Meeresbewohner betroffen. Denn Öl verklebt nicht nur das Federkleid der Meeresvögel, die daraufhin auskühlen und erfrieren können. Es tötet bei direktem Kontakt Kleingetier wie Asseln ebenso wie Korallen und Krabben binnen Minuten. Geschlossene Muscheln können das Öl zwar ein paar Tage lang überleben, sich aber nirgends mehr festhalten. Meeresschildkröten, Krokodile, auch Robben sind gefährdet, besonders auf Grund der giftigen Bestandteile des in der Schifffahrt fast ausschließlich benutzten „Bunkeröls". Dieser Treibstoff, der nichts anderes ist als toxischer Sondermüll, schädigt auch Algen und Kleinstlebewesen.

Es gibt allerdings auch die jeweils aktuelle, die öffentliche Wahrheit, die stark von den Medien bestimmt wird. Insofern ist das Gerangel um die Enten am Strand von Amrum ein Lehrstück. Am Anfang als naive Entenwäscher verspottet, standen die Ölvogelhelfer zunehmend im Mittelpunkt des Medieninteresses. Kamerateams drängelten sich um Waschschüsseln, Rotlichtkisten und Planschbecken, wo rund um die Uhr Enten gebürstet, gefüttert und verarztet wurden. Klar: Was waren schon Impressionen von Enten abschießenden Jägern gegen die Bilder der jungen Begeisterten, die mit Zahnbürste und Seife Entenköpfe putzen? So wurden Aktivisten zu Helden - und die Jäger von der Naturschutzbehörde zurückgepfiffen.

Nun ist Waschen im Zusammenhang mit der Ölpest keineswegs allein das Entfernen von Schmutz. Die Rettung verölter Vögel muss als symbolische Handlung verstanden werden. Es geht nicht allein um Tierliebe; es geht auch um Schuld. Der Zusammenhang zwischen Ölunfällen und dem Autofahren ist selbst schlichten Gemütern geläufig: Die Vögel sterben, damit wir Gas geben können.

Am einfachsten und konsequentesten ist die Reaktion der Amerikaner auf diese Verstrickung. In den USA ist das Vogelwaschen keine Spinnerei, sondern selbstverständlich. Klare Sache: Wir Menschen verölen die Vögel, also müssen wir sie auch wieder sauber machen. Seitdem 1990 vor Alaska die „Exxon Valdez" und vor der kalifornischen Küste die „American Hunter" verunglückten, reglementieren in den USA strenge Gesetze den Mineralöltransport. Kalifornien kassiert seither von der Erdölindustrie alljährlich Millionen von Dollar. Die kommen in einen Topf, aus dem Kriseninterventionen finanziert werden. Mit immensen Summen wurde eine Infrastruktur für die Versorgung verölter Seevögel aufgebaut. Kalifornien ist das Mekka der Vogelhelfer. Notdürftig ausgestattete, von akuten Geldsorgen geplagte und durch Mitleid oder Spott gekränkte deutsche Aktivisten fahren regelmäßig dorthin, um „aufzutanken".

Eine in diesem Zusammenhang signifikante Technologie stammt ausnahmsweise nicht aus den USA. Der französische Mineralölkonzern Elf Aquitaine hat viel Geld investiert und eine Vogelwaschmaschine entwickeln lassen, die bei Ölkatastrophen das Reinigen der Vögel automatisiert. Die Tiere werden an Beinen und Flügeln fixiert, der Kopf schaut oben heraus, dann wird der Körper im „Hauptwaschgang" zehn Minuten lang von Düsen mit warmem Seifenwasser umkreist. Anschließend wird sechs Minuten lang gespült. Die aufwändige und wegen der oft giftigen Öle nicht ungefährliche Handwäsche entfällt. Die Vogelwaschmaschine ist die industrielle Antwort auf Probleme der industriellen Ausbeutung. Schmutz und Schuld werden in einem Aufwasch erledigt.

Es wäre aber unfair, allen Ölvogelwäschern rein symbolisches Handeln zu unterstellen. Ihre Aktionen haben zweifellos Einfluss auf die herrschende Meinung und die reale Politik. Doch wer sich auch nur einen Moment mit den Ursachen der Verölung der Meere beschäftigt, begreift schnell, dass selbst die sympathischste Basisarbeit sich nur mit den letzten Konsequenzen des eigentlichen Desasters befasst. Leider sind es nicht zuletzt die Ölvogelaktivisten, die den Blick der Öffentlichkeit auf die medienwirksamen Großereignisse - Tankerunglücke - lenken. Dabei stellt das viel größere Problem die chronische Ölverschmutzung dar, die permanente Katastrophe: technische Pannen an Bohrplattformen, Leckagen beim Pumpen von Öl, jedoch besonders die vielen kleinen Schweinereien wie Verklappen von Bilgenflüssigkeit (die Summe aller Leckagen an Bord, eine schwarze ölige Giftsuppe, die sich im Schiffsbauch sammelt); Überbordgeben abgefilterter Bunkerölbestandteile, die sonst aufwändig an Land zu entsorgen wären; Abpumpen von ölverschmutztem Ballastwasser, das leere Tanker zum Trimmen mitführen. Nach Schätzungen von Meeresforschern stammen nur 13 Prozent der auf den Weltmeeren treibenden Ölteppiche von Schiffsunglücken. Die Ölpest ist kein Unglück, sondern ein Skandal.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 43. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 43

No. 43April / Mai 2004

Ein Essay von Burkhard Straßmann

Burkhard Strassmann, Biologe und Germanist, schreibt als freier Autor für die Ressorts Wissen, Reise und Leben der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Nachdem er anlässlich seiner Recherchen die siebte internationale Konferenz „Effects of Oil on Wildlife" und eine Ölvogelpflegestation auf der Insel Texel besucht hatte, schwankt er zwischen Sympathie für die Aktiven und wissenschaftlicher Skepsis.

Mehr Informationen
Vita Burkhard Strassmann, Biologe und Germanist, schreibt als freier Autor für die Ressorts Wissen, Reise und Leben der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Nachdem er anlässlich seiner Recherchen die siebte internationale Konferenz „Effects of Oil on Wildlife" und eine Ölvogelpflegestation auf der Insel Texel besucht hatte, schwankt er zwischen Sympathie für die Aktiven und wissenschaftlicher Skepsis.
Person Ein Essay von Burkhard Straßmann
Vita Burkhard Strassmann, Biologe und Germanist, schreibt als freier Autor für die Ressorts Wissen, Reise und Leben der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Nachdem er anlässlich seiner Recherchen die siebte internationale Konferenz „Effects of Oil on Wildlife" und eine Ölvogelpflegestation auf der Insel Texel besucht hatte, schwankt er zwischen Sympathie für die Aktiven und wissenschaftlicher Skepsis.
Person Ein Essay von Burkhard Straßmann