Das Logbuch des Zeichners

Wer auf dem Seeweg von der Nordsee in den Pazifik eine Abkürzung nehmen wollte, könnte dies, sofern es Sommer ist, durch die Gewässer rund um den Nordpol versuchen. Er hätte die Wahl, dies nach Neigung links- oder rechtsherum zu tun. Im ersten Fall würde er die polaren Küsten Kanadas kennen lernen. Er nähme die Nordwestpassage. Im zweiten Fall würde er vor Spitzbergen rechts abbiegen und dann entlang Sibirien fahren. Und wenn er das überstanden hätte, könnte er beanspruchen, er habe die Nordostpassage befahren. So oder anders, es wäre eine sehr erfrischende Angelegenheit, auch an Hundstagen. Er sollte dabei kein Tod und Teufel fürchten. Denn eine Fahrt durch die Nordostpassage gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben, die ein Seefahrer sich stellen kann. Erst recht, wenn es sich bei dem Schiff um ein altes Segelschiff handelt, so wie es Arved Fuchs mit einer verwegenen Crew vor zwei Jahren tat. 15000 Kilometer fuhren sie auf der „Dagmar Aaen", einem Grönland-Kutter, von Mai bis Oktober 2002, von Hamburg nach Sitka in Alaska, durch Eis, Sturm und wilde Wellen. Der Grafiker Rainer Ullrich gehörte zu den Männern um Fuchs. Er verfertigte ein Tagebuch der Nordostpassage. Damit befindet er sich in der traditionsreichen Gesellschaft der Expeditionsmaler. Auch wenn deren große Zeit die der Eroberungen war und ihnen zuerst das Dokumentarische, das Wissenschaftliche anlag, so haben solche Impressionen jenseits von Film und Fotografie einen sehr eigenen Wert: den der unabweisbaren Subjektivität. Jeder Strich ist erfahren, jeder Pinselzug ist erlebt, addiert sich mit dem nächsten zum authentischen Momentbild. Ullrich zeichnete, pastellierte, aquarellierte, meist in Eile, zu seinen Eintragungen Skizzen einer unwirtlichen, verlore- nen Welt, die verblüffend farbig ist. Sein Diarium tut eindrucksvoll das Ureigenste: Es fängt für immer ein, was für immer vor uns entfliehen will. „Skizzen aus der Nordostpassage" ist dieser Tage bei Koehler in Hamburg erschienen. kjs