Die Bucht von Donostia-San Sebastián, genannt La Concha, „die Muschel“: Wenn einer die perfekte Bucht zu zeichnen hätte, und erst recht, wenn er einen leichten Zwang zur Symmetrie hätte, sie wäre als Vorbild ideal.
Sie bildet ein wundersam perfektes Omega, das auf dem Kopf steht, das Rund gerahmt von einem makellosen goldgelben Stadtstrand, der gesäumt ist von einer prachtvollen Promenade und diese wiederum mit einer Kette von Stadtpalästen einer selbstbewussten baskischen Bourgeoisie. Am westlichen Ende der Concha singen die „Windkämme“, die stählernen Skulpturen des großen Sohns der Stadt Eduardo Chillida, ihr Lied; am östlichen liegen, am kleinen Hafen, die Gassen der Altstadt. Hier beginnt allabendlich eine seltsame Prozession von Gourmets, es geht von einer kleinen Bar zur nächsten, in denen es die köstlichen Mundportionen der baskischen Miniaturküche gibt, pintxos, die reiche Verwandtschaft von Spaniens tapas, die in Donostia schamhaft geleugnet wird. Und wie der Schönheitsfleck im Gesicht einer anmutigen Frau prangt inmitten der Bucht die Isla Santa Clara. An sonnigen, warmen Tagen ist die Concha der lieblichste Ort weit und breit.
An Sturmtagen im Winter ist die Concha der ungemütlichste Ort der Welt. Wenn die Biskaya tobt und Böen den Atlantik in die Bucht schlagen, dann verschwindet der Felsen von Santa Clara in Gischt und Nebel. Niemand hat die Schiffe gezählt, die an ihm zerschellt waren, weil sie die Einfahrt in die Concha nicht fanden. Drum steht dort seit 1864 ein Leuchtturm. Aber die Zeit ist über ihn hinweggegangen, mit ihrem GPS und AIS und Kartenplottern. Seit mehr als 20 Jahren ist er außer Betrieb.
Es war die Donostiarra Cristina Iglesias, ein weiteres großes Kind der Stadt, die die Idee hatte, aus dem verwaisten Leuchtturm ein Kunstwerk zu machen. Sie, die in aller Welt bekannte Bildhauerin, wurde in Donostias Altstadt, an einem Herbsttag 1956, geboren, der Anblick der Insel und des Leuchtturms war ihr vertraut und ging ihr nie aus dem Kopf. Irgendwann überzeugte sie die Stadt davon, aus dem Leuchtturm ein Kunstwerk zu machen, einen Leuchtturm der Kunst.
Cristina Iglesias hatte zuerst Chemie studiert, dann aber ihrer Neigung zur Kunst nachgegeben; sie studierte in Barcelona, schließlich in London an der renommierten Chelsea School of Art Bildhauerei und wandte sich fortan der Großskulptur im öffentlichen Raum zu. Vor allem ihre Arbeiten für Umeå, Schweden, für Toledo, Antwerpen und London zeigten den Antrieb ihres künstlerischen Denkens: Untergründe, Untergründiges, Unsichtbares sichtbar zu machen.
Dem Leuchtturm in Donostia, ihrem jüngsten Werk, gab sie schon früh den Projektnamen „Hondalea“, „Abgrund des Meeres“ auf Baskisch, und der Name verweist auf den Ausgangspunkt dessen, was sie in Bronze zu gießen gedachte: ein Abbild des Bodens der Concha, des Urgrunds der Stadt und ihrer Küste.
Ihr kühner Plan: den Leuchtturm auszuhöhlen und im Innern eine Bronzeskulptur aufzustellen, gewaltig groß, 45 Einzelteile mit einem Gesamtgewicht von 15 Tonnen. Ein an der Innenwand umlaufender Gang würde das Werk von allen Seiten betrachtbar, erspürbar machen. Ein weiterer Clou: Meerwasser sollte kraftvoll durch das Gebilde spülen, sodass zu der optischen auch eine akustische und sogar eine Hautwahrnehmung möglich wäre.
Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 161. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.
Als Karl Spurzem, Jahrgang 1959, stellvertretender Chefredakteur, in Donostia weilte, war der Bau von „Hondalea“ gerade im Gang – und weckte überraschend wenig allgemeines Interesse, auch beim Autor. Der Helikopter über der Insel Santa Clara störte ein wenig seine Kontemplation über die bezaubernde Bucht
Lieferstatus | Lieferbar |
---|---|
Vita | Als Karl Spurzem, Jahrgang 1959, stellvertretender Chefredakteur, in Donostia weilte, war der Bau von „Hondalea“ gerade im Gang – und weckte überraschend wenig allgemeines Interesse, auch beim Autor. Der Helikopter über der Insel Santa Clara störte ein wenig seine Kontemplation über die bezaubernde Bucht |
Person | Von Karl Spurzem |
Lieferstatus | Lieferbar |
Vita | Als Karl Spurzem, Jahrgang 1959, stellvertretender Chefredakteur, in Donostia weilte, war der Bau von „Hondalea“ gerade im Gang – und weckte überraschend wenig allgemeines Interesse, auch beim Autor. Der Helikopter über der Insel Santa Clara störte ein wenig seine Kontemplation über die bezaubernde Bucht |
Person | Von Karl Spurzem |