Das Erbe tief im Meer

Über den schwierigen Umgang mit Kulturgütern in den Ozeanen

Das Meer ist ein eigener, ja vielleicht sogar der größte Kulturraum der Erde. Seit die Menschheit die Ozeane befährt, sind sie eine interkulturelle Kontakt­zone. Der Austausch, der dadurch an ihren Gestaden möglich wurde, kurbelte petrischalenartig die Entwicklung von Gesellschaften, Kunst und Technologien an. Die See transportiert seit je nicht nur Kultur, sondern schuf ganze Kulturkreise, in Polynesien etwa oder der Karibik. Der Literaturwissenschaftler Dieter Richter pointierte einst, dass mit dem Meer nicht nur das menschliche Leben, sondern auch die menschliche Kultur begann.

Gleichzeitig entfalten die Ozeane eine kulturelle Mystik, wegen ihrer Stimmungen, ihrer Kräfte und weil sie nach wie vor größtenteils unerforscht sind. Schon immer fürchteten und verehrten die Menschen das Meer, ganz abgesehen vom Einfluss, den es auf Bereiche wie die Literatur (Melville), die Malerei (Turner) oder die Musik (Debussy) hatte. Dazu haben viele Facetten der Seefahrt selbst einen kulturellen Status erlangt – der Handel, der Bootsbau, sogar die Piraterie. Erzählungen von Schiffswracks, Goldschätzen oder versunkenen Städten regen bis heute unsere Fantasie an – dabei sind sie nicht selten Realität und Teil der Historie von Ländern und Nationen.

Ein wesentlicher Teil der Kultur des Meeres lagert unter seiner Oberfläche, in Form von Schiffen, Bauwerken und anderen Objekten. Dorthin gelangt sind sie größtenteils ebenfalls durch den Austausch, den die Seefahrt ermöglicht hat. Die Geschichten, die mit diesen maritimen Kulturgütern verbunden sind, bilden darüber hinaus einen ganz eigenen Schatz, sodass sie sowohl einen materiellen als auch einen immateriellen Wert haben.

Durch ihre besondere Lage stellen sich Fragen, wie kulturelle Stätten und Gegenstände unter Wasser geschützt werden können. Ruhen lassen oder bergen? Zugänglich machen oder abschotten? Und wie das Ganze finanzieren – durch den Status als Unesco-Welterbestätte, der zu einem größeren Besucherandrang und damit zu Umweltbeeinträchtigungen führen kann, die gerade in den Ozeanen fatal wären?

Der Schutz von Kulturgütern unter dem Meeresspiegel hat mannigfaltige Implikationen. Er tangiert völkerrechtliche und politische Aspekte, Fragen der kulturellen Aneignung und Repatriierung sowie ökologische Einflüsse. Auch die Gefahren für die Güter sind zahlreich: der Klimawandel, die Förderung von Rohstoffen, die Massenfischerei, der Bau von unterseeischer ­Infrastruktur und, so (un)romantisch es klingt, Schatzsucher. Das Spektrum unterschiedlicher Interessen umfasst dazu die Wissenschaft und potenzielle Eigentümer.

Bereits hier wird deutlich, dass es keine Musterlösung geben kann – selbst wenn man den bestmöglichen Erhalt als Anknüpfungspunkt nimmt. Je nach Objekt ist eine Bergung nicht unbedingt zuträglich, sind die Konservierungsbedingungen unter Wasser doch meist günstig. Die zusammenhängenden Probleme lassen sich am berühmten schwedischen Kriegsschiff „Vasa“ beob­achten, das seit 1990 in Stockholm ausgestellt ist, dessen Korpus aber zunehmend korrodiert und absackt. Die Erwärmung der Weltmeere und die biologischen Folgen können Kulturgütern derweil auch unter Wasser zusetzen. Wie an Land bedürfen Gegenmaßnahmen finanzieller und technischer Mittel, die aber nicht jeder Staat aufbringen kann. Im Meer wiederum befinden sich Objekte oft in Gebieten, über die keine Nation territoriale Souveränität ausübt – was Fluch und Segen zugleich sein kann.

Staaten und Institutionen haben unterschiedliche Defini­tionen dafür, was ein Kulturgut ist. Wo es sich befindet, ist an sich irrelevant. In ihrer Dissertation mit dem Titel „Maritimer Kulturgüterschutz“ aus dem Jahr 2004, der umfassendsten wissenschaftlichen Arbeit zu diesem Thema, widmet die Juristin ­Nadine Pallas nicht weniger als 92 Seiten der Begriffsbestimmung des Kulturguts und stellt das Dilemma heraus, dass der Kulturbegriff stets dynamisch ist, eine einheitliche und anerkannte Definition für den Schutz aber von zentraler Bedeutung. Als „Unterwasserkulturgut“ gelten nach ihr gleichwohl alle Kulturgüter, die sich ganz oder teilweise unter Wasser befinden, was somit auch ­Objekte in Flüssen, Seen und selbst Brunnen sein können.


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mare No. 166

mare No. 166Oktober / November 2024

Von Stephan Sura

Stephan Sura, Jahrgang 1986, studierte Jura in Köln und Kopenhagen, kommt aber ursprünglich aus der Nähe von ­Aachen – wo das Wasser selbst Kulturgut ist. Er ist freier Autor und schreibt unter ­anderem für die „Frankfurter ­Allgemeine Zeitung“, die „Welt“ und das Ausflugs­magazin „The Weekender“.

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Vita Stephan Sura, Jahrgang 1986, studierte Jura in Köln und Kopenhagen, kommt aber ursprünglich aus der Nähe von ­Aachen – wo das Wasser selbst Kulturgut ist. Er ist freier Autor und schreibt unter ­anderem für die „Frankfurter ­Allgemeine Zeitung“, die „Welt“ und das Ausflugs­magazin „The Weekender“.
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