Das Empire hört mit

Ascension Island liegt mitten im Atlantik und ist seit der Ära der Tiefseekabel ein Knotenpunkt der weltweiten Kommunikation – und damit der ideale Posten für Spione

Eine Insel muss schon arg unwirtlich erscheinen, dass die Entdecker sie gleich zweimal verschmähen. 1501 stößt der Galicier João da Nova mitten im Atlantik auf ein winziges, unbewohntes Eiland, das jedoch so wenig Eindruck auf ihn macht, dass er es später in seinen Berichten nicht erwähnt. Er segelt weiter, die sagenhaften Reichtümer Indiens warten. Zwei Jahre später wird die Insel ein zweites Mal entdeckt, der Portugiese Afonso de Albuquerque, ebenfalls in Richtung Fernost unterwegs, sichtet Vulkane und staubtrockene Einöde. De Albuquerque erreicht den wüsten Flecken an Christi Himmelfahrt und tauft ihn daher Assunção. Doch er nimmt die Insel nicht für die portugiesische Krone in Besitz. Was sollte sie damit auch anfangen?

In den folgenden drei Jahrhunderten kommen gelegentlich Schiffsbesatzungen vorbei, um Schildkröten zu fangen, „meat on the hoof“ sagen englische Seefahrer dazu, Fleisch auf Beinen, lebender Proviant. 1701 dann landet ein prominenter Gast, wenn auch unfreiwillig: Der Freibeuter William Dampier setzt seine HMS „Roebuck“ vor Assunção auf Grund. Seine Crew ernährt sich von Erdkrabben und Tölpeln und leidet. Ein Ostindiensegler rettet die Schiffbrüchigen sechs Wochen später. Wie vorher die Portugiesen können auch die Briten der garstigen Umgebung wenig abgewinnen. Immerhin gehen sie als Väter der ersten Be-siedlung in die Annalen ein. Die Ratten von der „Roebuck“ bleiben auf der Insel zurück.

Mehr als 100 Jahre herrschen die Nager ungestört. Bis 1815 Napoleon nach Saint Helena verbannt wird. Besorgt schaut die britische Admiralität auf das benachbarte Inselchen, 750 Seemeilen weiter nordwestlich, das auf ihren Karten unter dem Namen Ascension Island verzeichnet ist. Wenn die Franzosen einen Angriff wagen wollten, um Bonaparte zu befreien, dann könnten sie von dort kommen. Also setzt die Royal Navy zwei Kriegsschiffe in Marsch, um die Insel in Besitz zu nehmen und zur Festung auszubauen.

Weil Ascension damit nicht unter der regulären Kolonialverwaltung steht, sondern unter der Obhut der Marine, die grundsätzlich nur Schiffe befehligt, wenden die zuständigen Beamten einen skurrilen Kunstgriff an: Sie erklären die Insel kurzerhand zur Schaluppe, zur „stone sloop of war of the smaller classes“, und teilen für ihre neue HMS „Ascension“ die üblichen 65 Mann Besatzung ein.

Auch wenn niemand versucht, Napoleon zu befreien, und die Kanonen der HMS „Ascension“ kein einziges Mal feuern, so hat die Insel jetzt im Bewusstsein der Strategen einen Platz gefunden. Als Bonaparte 1821 stirbt, findet die Navy umgehend eine neue Bestimmung für ihren Fels in der atlantischen Brandung: als Stützpunkt für ihr Westafrika-Geschwader, das den Sklavenhandel bekämpfen und die Handelsrouten schützen soll. Stützpunkt bedeutet in diesem Fall: Krankenstation. Denn mehr noch als Sklavenhändler und Piraten setzen den Briten die Seuchen des afrikanischen Kontinents zu. Nachdem die HMS „Bann“ 1823 ein besonders aggressives Virus eingeschleppt hat, dem 50 Menschen zum Opfer fallen, wird in einer Bucht nördlich des Hafens Georgetown eine Reede für Schiffe unter Quarantäne eingerichtet. Der Liegeplatz wird Comfort Cove getauft, Bucht des Wohlbehagens, aber der Friedhof direkt am Strand konterkariert die freundliche Vokabel. Die Insulaner ergänzen die fehlende Silbe: Comfortless Cove sagen sie, Ufer des Unbehagens. Können sie wissen, dass sich an diesem Strand das Schicksal der Insel wendet?

1858 lässt der amerikanische Geschäftsmann Cyrus W. Fields das erste Telegrafenkabel von Neufundland nach Irland über den Atlantik legen. Königin Victoria und US-Präsident James Buchanan tauschen höflich Grüße aus, dann schmort das Kabel bei einem Versuch mit erhöhter Spannung durch, was den Siegeszug der revolutionären Idee jedoch nicht lange aufhält. Fieberhaft beginnen Planungen für weltumspannende Kabelnetze. Eines der ersten Unternehmen in der neuen Branche ist die britische Eastern Telegraph Company (ETC), die London mit Kapstadt verbinden will. Sicher, es gibt kürzere Strecken oder solche, auf denen das Kabel leichter zu verlegen ist, doch die Ingenieure entscheiden sich für eine Trasse über Ascension. Eine Relaisstation dort, so ihre Überlegung, sollte frei von den politischen Störungen sein, wie sie auf einer Route entlang der Küste Afrikas kaum zu vermeiden sind. Auf einmal ist die Abgeschiedenheit der Insel ihr wertvollstes Kapital.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Olaf Kanter und Simon Norfolk

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Simon Norfolk, 1963 im nigerianischen Lagos geboren, hat in Oxford und Bristol Soziologie und Philosophie studiert, ehe er sich der Fotografie verschrieb. Aus Ascension berichtet er: „Es wimmelt von Spionen. Im Nachttisch meines Hotelzimmers fand ich keine Bibel – sondern die Biografie des britischen Doppelagenten Anthony Blunt.“

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Simon Norfolk, 1963 im nigerianischen Lagos geboren, hat in Oxford und Bristol Soziologie und Philosophie studiert, ehe er sich der Fotografie verschrieb. Aus Ascension berichtet er: „Es wimmelt von Spionen. Im Nachttisch meines Hotelzimmers fand ich keine Bibel – sondern die Biografie des britischen Doppelagenten Anthony Blunt.“
Person Von Olaf Kanter und Simon Norfolk
Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Simon Norfolk, 1963 im nigerianischen Lagos geboren, hat in Oxford und Bristol Soziologie und Philosophie studiert, ehe er sich der Fotografie verschrieb. Aus Ascension berichtet er: „Es wimmelt von Spionen. Im Nachttisch meines Hotelzimmers fand ich keine Bibel – sondern die Biografie des britischen Doppelagenten Anthony Blunt.“
Person Von Olaf Kanter und Simon Norfolk