Brüsseler Rituale

Wer weiß, wie Würste und Gesetze gemacht werden, kann nie mehr gut schlafen, sagte Bismarck. Die Fischquoten hat er vergessen

Hin und wieder, wenn Paul Nemitz die Luft aus der Klimaanlage seines Büros in der Generaldirektion Fischerei bei der Europäischen Kommission stinkt, steigt er in die Brüsseler Metro. Dann fährt er bis zur Station Schuman, läuft ein paar Minuten, passiert den hübschen kleinen Park im englischen Stil zu seiner Linken, bis er schließlich vor dem Haus Avenue Palmerston 20 zum Stehen kommt. Das diskrete Schild an der Mauer weist die Jugendstilvilla als Sitz des Hanse Office aus. Hinter dem distinguierten Namen steht seit 1985 die Brüsseler Vertretung der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein. Das Hanse Office ist nicht nur eine der ältesten von 240 EU-Regionalvertretungen, es gilt auch als eines der leiseren Lobbybüros in der Stadt.

Das Kaminzimmer im ersten Stock, hier kann man mit Platz verschwenderisch umgehen. Das Parkett knarrt großbürgerlich, der Blick vom Sessel schweift in den Garten, und es gibt einen guten Kaffee. Günther Schulz leitet das Hanse-Office. Er besitzt die Erfahrenheit des Politikberaters, der viele Würdenträger kommen und gehen sah und so professionell wie gelassen seinen Job erledigt. „Wir informieren über EU-Politiken, Rechtsetzungsverfahren und Förderprogramme“, beschreibt Schulz seine Arbeit. „Wir vermitteln Kontakte zur Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament und anderen europäischen Institutionen. Wir präsentieren die Vielfalt Hamburgs und Schleswig-Holsteins mit Veranstaltungen, Begegnungen und kulturellen Ereignissen in Brüssel.“

Wenn sich Nemitz, der EU-Spitzenbeamte, und Schulz, der Lobbyist, austauschen, gibt es daran nichts auszusetzen. „Die Kommission ist immer eine gegenüber Einflüssen von Interessengruppen offene Institution gewesen“, heißt es in ihrer Selbstdefinition. „Sie sieht darin eine grundlegende Form, eine vernünftige und wirkungsvolle Politik zu ermöglichen.“

Das Hanse Office ist eine wichtige Stimme im Chor der europäischen Regionen. Auch wenn es in Deutschland nur noch 4000 Seefischer und 4400 Küsten- und Binnenfischer gibt, ist die Zahl der Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie, im Fischgroß- und -einzelhandel und in der Fischgastronomie mit 45000 noch wahrnehmbar. Die meisten Arbeitsplätze befinden sich in Hamburg und Schleswig-Holstein und fallen damit gewissermaßen in die Zuständigkeit des Hanse Office. Doch Schulz relativiert: „Wir verstehen uns nicht so sehr als Lobbyisten. Wir unterstützen vielmehr den schwierigen Prozess der regionalen Verankerung europäischer Politik – in beide Richtungen.“

Dass Nemitz von Schulz weniger gezielte Lobbyarbeit im Namen regionaler Interessen zu erwarten hat, sondern eher das gepflegte Gespräch über die Initiativstellungnahme des Hanse Office für den Ausschuss der Regionen zum Grünbuch „Zukünftige EU-Meerespolitik“, hat seine Gründe. Die Fischereipolitik der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein ist geprägt vom Schutz der Fischbestände. Sie befindet sich damit auf einer Linie mit der Politik der Bundesregierung, die von den Grünen und ihrer Ministerin Renate Künast gestaltet wird. Dass sich der Fischschutz als Politikziel in Bund, Ländern und Regionen durchsetzen konnte, liegt natürlich auch an der vergleichsweise geringen Zahl der direkten Arbeitsplätze in der Fischerei und an der eher industriell geprägten deutschen Identität. Der Fischer ist anders als der Bergmann oder der Stahlkocher kein starkes Symbol im nationalen Selbstverständnis. In Küstenorten sehen Touristen ihn zwar gerne samt pittureskem Kutter im Hafen schaukeln, hin und wieder darf er auch auslaufen und soll dann ein paar Krabben mit nach Hause bringen. Doch das maritime Produkt kauft sich der Deutsche am liebsten tiefgekühlt im Supermarkt, vorzugsweise importiert.

Dass der Fischkonsum in Deutschland gegenüber den Fischnationen Portugal und Spanien ohnehin kümmerlich ist, empfindet Nemitz keineswegs als unangenehm. So hat er aus der Heimat kaum ernst zu nehmenden Lobbybeschuss zu erwarten. Im Gegenteil: Er kann sich auf die reflexhafte Unterstützung aller Kommissionsvorschläge zum Bestandserhalt und zur nachhaltigen Entwicklung der Meere durch die deutsche Politik verlassen. Und Verlässlichkeit ist eine Eigenschaft, die ein Mitarbeiter der Europäischen Kommission zu schätzen lernt.


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mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Christoph Becker, Karl J. Spurzem und Kadir van Lohuizen

Christoph Becker, Jahrgang 1967, ist Medienberater und freier Journalist in Hamburg.

Karl Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Beide waren erstaunt über die wenig förmliche und unhierarchische Arbeitsatmosphäre in der Kommission.

Fotograf Kadir van Lohuizen, Jahrgang 1963, lebt in Amsterdam. Mit den Flussbildern aus fünf Kontinenten des World-Press-Award-Gewinners und Mitglieds der Pariser Agentur VU gestaltete mare den Schwerpunkt No. 37 „Wege zum Meer“.

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Vita Christoph Becker, Jahrgang 1967, ist Medienberater und freier Journalist in Hamburg.

Karl Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Beide waren erstaunt über die wenig förmliche und unhierarchische Arbeitsatmosphäre in der Kommission.

Fotograf Kadir van Lohuizen, Jahrgang 1963, lebt in Amsterdam. Mit den Flussbildern aus fünf Kontinenten des World-Press-Award-Gewinners und Mitglieds der Pariser Agentur VU gestaltete mare den Schwerpunkt No. 37 „Wege zum Meer“.
Person Von Christoph Becker, Karl J. Spurzem und Kadir van Lohuizen
Vita Christoph Becker, Jahrgang 1967, ist Medienberater und freier Journalist in Hamburg.

Karl Spurzem, geboren 1959, ist Chef vom Dienst bei mare. Beide waren erstaunt über die wenig förmliche und unhierarchische Arbeitsatmosphäre in der Kommission.

Fotograf Kadir van Lohuizen, Jahrgang 1963, lebt in Amsterdam. Mit den Flussbildern aus fünf Kontinenten des World-Press-Award-Gewinners und Mitglieds der Pariser Agentur VU gestaltete mare den Schwerpunkt No. 37 „Wege zum Meer“.
Person Von Christoph Becker, Karl J. Spurzem und Kadir van Lohuizen