Boatpeople: Goodbye Vietnam

Als Boatpeople kamen sie nach dem Vietnamkrieg in die USA. Sie landeten in Texas und fingen wieder damit an, womit sie in Vietnam aufgehört hatten: mit Garnelenfischen

Libellen kleben auf Windschutzscheiben, an Kühlgittern, unter Scheibenwischern. Grün glitzernde Libellenleichen von bemerkenswerter Größe pflastern den Weg einer jeden Fahrt in diesem heißen, schwülen Ort.

Auch Sonntag ist ein Sterbetag, gerade der Sonntag, denn dann kommen sie alle mit ihren Autos hierher gefahren, ein Röhren von starken Motoren, der öde Parkplatz füllt sich mit einem Mal, aus allen Ecken der flachen Kleinstadt biegen Fahrzeuge ein, pünktlich zur selben Uhrzeit. Aus hohen Pick-ups klettern feingliedrige, dunkelhaarige Männer, Frauen und viele Kinder hinab auf das glühend heiße Pflaster, keine Cowboyhüte, keine schief getretenen Stiefel mit Metallsporen, obwohl Palacios doch in Texas liegt und von allen breit Palääschos ausgesprochen wird.

Vor der Kirchentür schwatzen die Frauen, die Kinder lachen, aber keine Muße ist hier zu spüren, es geht geschäftig zu, und schnell, sehr schnell huschen alle in den gekühlten Innenraum eines Kirchenbaus, der äußerlich betrachtet auch etwas Profaneres sein könnte, ein Supermarkt zum Beispiel. Die Türen schließen sich, der Parkplatz ist wieder menschenleer und still, Insekten tanzen, die Sonne brennt.

Frauen und Mädchen sitzen links des Mittelgangs, Reih um Reih auf Holzbänken, in Gedanken und Träumereien versponnen, während der Pfarrer in die Messfeier einführt, mit sonorer Stimme, gegen das Gesurre der Klimaanlage anredend. Schwarzes Frauenhaar neben schwarzem Frauenhaar, glänzend, dicht, sonntäglich gekämmt. Seidenblusen an den Älteren, bestickte und bedruckte T-Shirts bei den Jüngeren, herausgeputzt, jede auf ihre Art. Hier ein goldenes Kreuz im Dekolleté; dort dunkelrosa lackierte Fußnägel in Sandaletten, auf jedem Zeh prunkt ein kleines Bild, ein glitzernder Schmetterling, ein Herz, ganze Geschichten erzählen diese sorgsam dekorierten Füße, Geschichten von der Idee von Weiblichkeit, der Schönheit.

Thim weiß, was Schönheit bedeutet; Make-up, ein wenig schrill, exaltiert, feminin, so wie ihr Boyfriend es mag, der kein Vietnamese ist und deshalb eine andere Kirche besucht. Aber ihre Schwestern sind hier zur Sonntagsmesse, Anh, die den Sandwich Express betreibt, unten beim Hafen, und Tuwith, die ihr dabei hilft. Tuwith war es auch, die mit den Chihuahuas angefangen hat, kleine stramme Hunde, deren aufrechte Ohren überall dort auftauchen, wo die Nguyen-Schwestern oder Cousins der Nguyen-Schwestern oder angeheiratete Verwandte leben. Und so gibt es viele Chihuahuas in Palacios.

1980 sind die drei Mädchen an der vietnamesischen Küste in ein kleines Fischerboot gestiegen, nachts, mit ihrem Bruder Son und noch 40 anderen, dicht gedrängt, drei Tage und drei Nächte auf dem Meer getrieben, bis ein deutscher Frachter sie aufgegriffen und nach Singapur gebracht hat. Boatpeople, auf der Suche nach dem besseren Leben, ihrem Vater Vinh und den älteren Brüdern, die beide auch Vinh heißen, nach Amerika folgend, auf der Flucht vor den Kommunisten, ihren Feinden, die ihnen alles genommen haben, damals, im Süden Vietnams, dem Land, von dem sie alle nur als my country sprechen, obwohl sie da nicht mehr hin wollen.

Anh sitzt neben ihrer Schwester Tuwith, deren Mann Hai sie mit begehrlichen Augen verfolgt, sogar hier, quer durch die Kirche, quasi unter den gestrengen Blicken des katholischen Pfarrers, stolz noch nach 23 Jahren Ehe, stolz auch, ihr niemals gesagt zu haben, dass er sie liebt, weil man das nicht aussprechen darf, denn kaum ist es gesagt, fliegt sie weg, die Liebe, und entschwindet. Ihr selbstbewusstes Auftreten ist es, das die drei Schwestern so auszeichnet, zu etwas Besonderem in der Gemeinde macht. Es sind die Brüstchen, die hüpfen und in die Höhe zu streben scheinen, unter engen Hemdchen eingesperrt, als ob sie sich lieber draußen umschauen wollten; schmale Körper, die 20-Jährigen gehören könnten und nicht aussehen, als hätten sie zwei, drei, vier Kinder geboren und großgezogen; zarte, vergnügte, narzisstische Wesen, deren Laufsteg der Sandwich Express ist, durch den sie auf hohen Absätzen stöckeln und in dem sie den Fischern ihre Suppen bereiten, mit Zitronengras und Reis und Hühnerfleisch, sodass die immer wiederkommen ins Zentrum des sozialen Hafenlebens, wegen der heißen Brühe und der tanzenden Brüste.

Anh steht auf und singt das Gloria, Töne purzeln über ihre rosa Lippen und erhellen den Raum, um sie herum die anderen, grummelnd, trällernd, christlicher Gesang in vietnamesischer Sprache.

Die Gemeinde setzt sich. Rechts des Mittelgangs rutschen die Männer auf ihren Bänken, hüsteln, räuspern sich, ein wenig verlegen, als ob das Singen eigentlich Frauensache wäre, also nur linksseitig angesiedelt sein sollte, der alte Nguyen Vinh genauso wie sein Schwiegersohn Tommy aus dem Tran-Clan; die Trans leben wie die Nguyens schon Jahrzehnte in Palacios. Tommy ist Anhs Ehemann, um sie dreht sich das kulinarische Dasein der Garnelenfischer. Ein flacher, allein stehender Bau an der Hauptstraße ist ihr Wirkungsfeld, etwas außerhalb des Ortes, ein leuchtender Schriftzug Sandwich Express, darin ein verschrobenes Licht, lila Folie klebt auf den Scheiben, die Sonne vermag nicht recht durchzudringen, ein wenig wie in einem Aquarium ist es hier, draußen die Welt, weit entfernt, fast surreal, gelegentlich dröhnen schwere Motoren vorbei, in der Ferne schwanken Schiffsmasten. Spielautomaten, an denen kaum je einer steht, Vietnamesen löffeln ihre Suppen, schlürfen lautstark, einige hocken mit bloßen Füßen auf den roten Plastikstühlen, so wie sie drüben im Hafen mit bloßen Füßen auf den Holzpfählen vor ihren Booten kauern.


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Von Zora del Buono und Aubrey Wade

Zora del Buono, 44, stellvertretende Chefredakteurin von mare, hielt sich am liebsten im „Sandwich Express“ auf, der Bühne des Lebens in Palacios.

Dem Londoner Fotografen Aubrey Wade, schenkten die Fischer wegen seiner hellen Haut gleich einen traditionellen Hut.

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Vita Zora del Buono, 44, stellvertretende Chefredakteurin von mare, hielt sich am liebsten im „Sandwich Express“ auf, der Bühne des Lebens in Palacios.

Dem Londoner Fotografen Aubrey Wade, schenkten die Fischer wegen seiner hellen Haut gleich einen traditionellen Hut.
Person Von Zora del Buono und Aubrey Wade
Vita Zora del Buono, 44, stellvertretende Chefredakteurin von mare, hielt sich am liebsten im „Sandwich Express“ auf, der Bühne des Lebens in Palacios.

Dem Londoner Fotografen Aubrey Wade, schenkten die Fischer wegen seiner hellen Haut gleich einen traditionellen Hut.
Person Von Zora del Buono und Aubrey Wade