America’s Cup Barcelona

Beim bedeutendsten Segelrennen der Welt entscheidet ein Hightech-Boots­teil über Sieg und Niederlage. Und ein Physiker weiß die Formel dafür

Am Morgen eines sonnigen Tags im Mai legt Martin Fischer im Hafen von Barcelona seine Rettungsweste an und steigt in ein offenes Speedboat. Es ist so weit. Fischer wird zum ersten Mal dabei sein, wenn seine Rennyacht abhebt und über das Mittelmeer fliegt, in einer Höhe von etwa einem halben Meter.

Der Wind hat in der Nacht aufgefrischt, die See draußen dürfte unruhig sein, mit Wellen aus unterschiedlichen Richtungen und Schaumkronen. Anspruchsvolle Testbedingungen. Fischer, promovierter Physiker und Experte für Strömungsmechanik, begreift ein aufgewühltes Meer vor allem als ein Gewirr an Kräften, die unablässig Masse, Richtung und Geschwindigkeit ändern. Und damit als Herausforderung: Wie muss eine Renn­yacht mit Flügeln geformt sein, um schneller als jede andere Rennyacht durch dieses Chaos aus Wasser und Luft zu jagen? 

Drei Jahre lang haben Fischer und ­seine Leute an ihren Computern in England gesessen und gerechnet. Die Voraus­setzungen, für den America’s Cup 2024 das perfekte Boot zu entwerfen, waren gut: Das britische Team, ausgestattet mit enorm viel Geld, hatte 120 renommierte Designer und Ingenieure eingestellt. Als Chefdesigner holten die Briten den 61-jährigen Deutschen an Bord. Martin Fischer gilt als genialer Bootsarchitekt, mehrere der schnellsten Segelyachten mit Foils entstanden an seinem Computer. 

An einem Kran schwebt die Yacht, Codename „RB3“, ins Wasser. Ein 21 Meter langer, wie eine flache Welle geformter Rumpf. Eine elegante Skulptur in Dunkelgrau und Silber, mit orange­roten Konturstreifen. Keine Kanten oder Ecken, keine einzige Winsch, keine über Deck laufende Leine, nichts unterbricht die pure, fließende Harmonie des flunderartigen Bootskörpers. Ein Schiff als Hymne an die Aerodynamik. Auch Menschen wären da nur störende Elemente. Die Crew wird in engen Einstiegslöchern kauern, nur ihre Schutzhelme dürfen herausragen. Die acht Männer wollen ja sehen, wohin sie segeln.

Fischer steigt in „Chaseboat 2“. Das Begleitboot der Ingenieure und Designer wird von vier Außenbordmotoren über das Wasser gejagt, mit insgesamt 1300 PS. Die enorme Antriebskraft soll sicherstellen, dass „RB3“ seinen Erfindern nicht davonfliegt, die Rennyacht kann Geschwindigkeiten von über 50 Knoten erzielen, gut 90 Kilometer in der Stunde.

Martin Fischer, ein drahtiger, schlanker Mann mit weißem Wuschelkopf und kantiger Brille, verkeilt sich in seinem Sitz, er lässt „RB3“ nicht mehr aus den Augen. Verhält sich das Schiff so, wie es das den Berechnungen nach tun sollte? Der Rumpf hat sich komplett aus dem Wasser gehoben, aufrecht und wie auf Schienen fixiert rast das Schiff knapp über der bewegten See, nur ab und zu touchiert es einen Wellenkamm. Mit dem Wasser verbunden ist „RB3“ jetzt nur noch über das hinten angebrachte T-Ruder – und über das Foil auf der Leeseite. Wie ein abgewinkelter Ellenbogen ragt der hydraulisch ausgeklappte Flügelarm mehrere Meter seitlich des Rumpfs ins Meer. An seinem Ende sitzt das eigentliche Foil, ein schmaler, dünner, gut vier Meter langer Flügel, geformt wie die Tragfläche eines Flugzeugs. Waagerecht durchschneidet er das Meer und erzeugt starken Auftrieb. Die Kraft reicht aus, das gesamte Schiff aus dem Wasser zu heben.

Von seinem Sitz aus fixiert Fischer vier Stunden lang wortlos das Boot, be­ob­achtet das Eintauchen der Foils, die Stabilität im Flug. Er hat keinen Laptop bei sich, kein Notizbuch; er weiß aus Erfahrung, dass er sich an alles, was ihm auffällt, beim Rebriefing am Abend erinnern wird. Manchmal geht es nur um Winzigkeiten, etwa um die Überlegung, die messerscharfe Abrisskante der Foils ein paar Grad schräger zu schleifen. Und, gibt es Verhaltensauffälligkeiten? Martin Fischer lächelt. „Das verraten wir nicht“, sagt er. 

Fischer, 1962 in Niedersachsen geboren, ist geradezu besessen von der Her­ausforderung, nur mit Segelkraft immer höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Es ist die Triebkraft seines Lebens, seit er als Schüler nachts die Maschinen bei einem Hersteller von Tierfutter reinigte, um sich das Geld für seinen ersten Katamaran zu verdienen. Sein Vater ist Inge­nieur, seine Mutter Hausfrau, gemeinsam mit zwei jüngeren Schwestern wächst Fischer in einem Dorf mit 600 Einwohnern auf. Als er endlich den Führerschein hat, fährt er fast jedes Wochenende zu Regatten. Oft steht er auf dem Podium. „Gewinnen“, sagt Fischer, „war mir schon immer wichtig. Ich verliere ungern.“ 


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mare No. 165

mare No. 165August / September 2024

Von Andreas Wolfers und Paolo Verzone

Andreas Wolfers, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und ist ein Journalist mit Vorliebe für Maritimes. Er schrieb schon in mare No. 149 über die Relevanz von Glück und Zufall bei Hochseeregatten.

Paolo Verzone, Jahrgang 1967, Fotograf in Barce­lona, ging früher häufig mit seinem Vater segeln, der als Architekt auch Segelschiffe entwarf und ein echter Liebhaber des Meeres war. Verzone wird von der Agence VU in Paris vertreten.

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Vita

Andreas Wolfers, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und ist ein Journalist mit Vorliebe für Maritimes. Er schrieb schon in mare No. 149 über die Relevanz von Glück und Zufall bei Hochseeregatten.

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Andreas Wolfers, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg und ist ein Journalist mit Vorliebe für Maritimes. Er schrieb schon in mare No. 149 über die Relevanz von Glück und Zufall bei Hochseeregatten.

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