Alles Koscher, New York?

Wer nach der Thora leben will, soll koscher essen. Aber welcher Fisch geht und welcher nicht? Im Zweifelsfall können sich jüdische Köche in aller Welt am Prüfsiegel der New Yorker Orthodox Union orientieren

„Ist ganz einfach: Flossen und Schuppen“, sagt Rabbi Chaim Goldberg und marschiert zu den Bottichen mit Lachs von den Färöern. „So steht es in der Thora.“ Eisig quillt das Wasser über silbernschimmernde Leiber; nebenan wird filetiert. „Eigentlich reichen Schuppen“, soGoldberg, der nun gut gelaunt mit den Fingernägeln hinter Kiemen und Schwanz eines kapitalen Exemplars herumzupft.
„Jeder Fisch mit Schuppen hat auch Flossen.“

So steht es im Talmud. „Sehen Sie!“, ruft Goldberg und hält triumphierend ein glasiges Partikel gegen das Licht. „Schuppe – koscher!“ Schon eilt er lächelnd weiter. Vorbei an Ständern mit geräucherten Makrelen, den Hut nach hinten geschoben, am wehenden Mantel eine Spur von Fischschleim.

Es ist neun Uhr morgens, und der Rabbi inspiziert bei Banner Smoked Fish Inc., nicht weit entfernt vom Boardwalk in Coney Island, Brooklyn. Fabrikchef Avi Banner ist orthodoxer Jude und verarbeitet allein schon aus Gewissensgründen nur Fisch, der zweifelsfrei koscher ist. Lachs, Makrelen, Seebarsch, Hering. Darauf kann Goldberg sich verlassen. Und deshalb bleibt Zeit für Plaudereien.

Etwa mit Yossi Peikes, Avis rechter Hand. Goldberg war kürzlich bei einer Lebensmittelmesse in Thailand. Yossi hat ein biologisches Seminar besucht, wo er allerlei Meeresgetier per Mikroskop erforschte. Viel zu erzählen. Viel Gelächter.

Es riecht nach Meer, Rauch von Hickory und Eiche. Goldberg ist Rabbinischer Leiter der Abteilung Fisch der Orthodox Union, kurz OU. Die OU residiert zwischen Wall Street und dem Anleger der Staten Island Ferry in Downtown Manhattan. 11 Broadway. Eine angemessene Adresse für die einflussreichste jüdische Interessengemeinschaft Amerikas, unter anderem ist sie die weltweit größte für die Lizenzierung von koscheren Produkten. Solchen, die das Label Hekscher verdienen, das dokumentiert, dass Lebensmittel dem Kodex der Kaschrut entsprechen, dem jüdischen Ernährungskatalog.

Fast zwei Drittel der 80 000 als koscher klassifizierten Produkte in den USA tragen das Zeichen mit dem U im Kreis. Jährlich kommen 1000 dazu. Das Geschäft mit koscherer Nahrung boomt. Nicht nur in Amerika, wo damit 7,5 Milliarden Dollar pro anno umgesetzt werden, die Zuwachsraten liegen bei 15 Prozent.

Die OU gilt als „500-Pfund-Gorilla“ (Goldberg) unter den mehr als 700 Organisationen und rabbinischen Vereinigungen in aller Welt, die die Einhaltung der Kaschrut prüfen. Ihre Inspekteure, sogenannte Maschgiachs, sind pausenlos im Einsatz in Metzgereien, Fischhandlungen und Supermärkten, Hotels und Lebensmittelfabriken.

Die Maschgiachs sind kulinarische Clouseaus. Sie untersuchen, ob Fleisch ordnungsgemäß geschlachtet und ausgeblutet wurde und nicht in Kontakt mit Milch oder Milchprodukten kam oder kommt. In Restaurants entzünden und löschen sie das Feuer, verwahren die Schlüssel für Kühlschränke, öffnen jede Lieferung. Sie kontrollieren Töpfe, Teller, Messer, untersuchen mit der Lupe Gemüse und Obst nach Insekten. Bei industrieller Verarbeitung studieren sie Einkaufslisten, checken die Buchhaltung, lassen chemische Analysen anstellen und observieren den Produktionsablauf in allen Details. Die Kaschrut unterscheidet zwischen fleischig, milchig und parwe (neutral). Fisch gilt wie Getreide, Gemüse, Obst, Eier als parwe und somit als simple Angelegenheit. Vor allem, weil er in aller Regel im Ganzen geliefert wird, die Haut samt Schuppen noch vorhanden und einfach zu prüfen ist; bei Lachs und Forelle erkennt der Experte anhand der Struktur des gehäuteten Fleisches, womit er es zu tun hat. Fisch unterliegt auch keinen Vorschriften, wie er getötet wird; Blut ist – anders als bei Fleisch – kein kritischer Faktor.

Tunfisch, Tilapia, Mahi Mahi, Makrele, Kabeljau, Anchovis, Sardine, Forelle, insgesamt 75 Spezies: Schuppen – koscher. Hingegen Aal, Wels, Hai, Seeteufel, Rochen: keine Schuppen – nicht koscher, auch treife genannt, unrein. Goldberg: „Man kann mit einer Qualle machen, was man will, sie wird keine Schuppen bekommen.“

Das gilt auch für Muscheln, Shrimps, Hummer, Krabben – sie alle S sind strikt tabu. chuppen also. Doch ganz so einfach ist es nicht, schließlich gibt es sie in unterschiedlichen Formen. Stör etwa hat definitiv Schuppen, die aber von Horn überzogen sind, die Trüsche wiederum hat Schuppen, die mit der Haut verwachsen sind.

Die Thora ist eindeutig, doch im Talmud, der sie interpretiert, findet sich die Vorgabe: Schuppen müssen per Hand oder Messer zu entfernen sein, ohne dass die Haut verletzt wird. Das geht bei Stör nur nach einem Bad in Alkalilösung. Und was ist mit Schwertfisch? Der hat im Frühstadium Schuppen, verliert sie aber später. Laut OU ist Schwertfisch nicht koscher. Hering soll koscher sein, doch zappelt nicht Clupea herangus meist schuppenlos an der Luft, weil er sie abstößt, wenn er aus dem Wasser gezogen wird ? Fragen über Fragen.

Dass es keine verbindliche Liste von koscheren und nicht koscheren Fischen gibt, macht die Sache nicht einfacher. Goldberg meint, dazu müsse man die lateinischen Namen verwenden, die allerdings weder bei Fischhändlern noch Konsumenten gebräuchlich seien. Die Bezeichnungen, die allgemein benutzt werden, sind dummerweise in Einzelfällen irreführend.


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Gerhard Waldherr und Andrew Testa

Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New Yorker Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo, Neue Zürcher Zeitung und in seiner Diaspora den Juden heimatlich verbunden – sie haben sich am europäischsten von allen Amerikanern angefühlt.

Andrew Testa, Jahrgang 1965, lebt als Fotograf in Brooklyn mit Frau und Kindern. Beeindruckt hat ihn, wie akribisch Rabbi Stone Fabrikanlagen durchkämmte – zum Gefallen der Unternehmer, die ihn häufig anrufen, wenn sie etwas nicht finden können.

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Vita Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New Yorker Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo, Neue Zürcher Zeitung und in seiner Diaspora den Juden heimatlich verbunden – sie haben sich am europäischsten von allen Amerikanern angefühlt.

Andrew Testa, Jahrgang 1965, lebt als Fotograf in Brooklyn mit Frau und Kindern. Beeindruckt hat ihn, wie akribisch Rabbi Stone Fabrikanlagen durchkämmte – zum Gefallen der Unternehmer, die ihn häufig anrufen, wenn sie etwas nicht finden können.
Person Von Gerhard Waldherr und Andrew Testa
Vita Gerhard Waldherr, 1960 geboren, war acht Jahre New Yorker Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung, Geo, Neue Zürcher Zeitung und in seiner Diaspora den Juden heimatlich verbunden – sie haben sich am europäischsten von allen Amerikanern angefühlt.

Andrew Testa, Jahrgang 1965, lebt als Fotograf in Brooklyn mit Frau und Kindern. Beeindruckt hat ihn, wie akribisch Rabbi Stone Fabrikanlagen durchkämmte – zum Gefallen der Unternehmer, die ihn häufig anrufen, wenn sie etwas nicht finden können.
Person Von Gerhard Waldherr und Andrew Testa